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Rosen-Reise

Ein Leben mit der Rose

Vom Umgang mit einem Sonnenkind: Praktische Tipps und Informationen rund um die blühende Schönheit. Ein Interview mit dem Gärtnermeister Holger Enger aus Neustadt-Haardt.

Foto: Norman Krauß

Schon als 15-Jähriger hat er gerne beim Schnittrosenverkauf seines Onkels mitgearbeitet. Mit 18 wechselte er den Fokus von der Schnittrose auf die Gartenrose. Heute ist er 55, schon lange Gärtnermeister und noch länger seiner Lieblingsblume treu. Wir treffen Holger Enger an einem der ersten Frühlingstage in Neustadt-Haardt am Sulzwiesenweg. Dort stehen in einer 3000 Quadratmeter großen Freianlage Hochstammrosen, Edelrosen und Kletterrosen in Reih und Glied. Zu den 70 Rosenarten, die hier heranwachsen, kommen Begleitpflanzen wie Stauden und Ziergräser dazu. Helmuth Bischoff hat dem Meister Fragen zur Rose gestellt.

Worauf muss man besonders achten, wenn man seinen Garten mit ein paar Rosen bereichern will?

Zunächst sollten Sie sich entscheiden, welche Sorten Sie am liebsten in Ihrem Garten sehen würden. Sollen es zum Beispiel Edelrosen sein, die man auch „Teehybriden“ nennt, weil sie im 19. Jahrhundert aus chinesischen Teerosen und europäischen Rosen gekreuzt wurden? Oder haben Sie einen schönen Platz für Strauchrosen? Kommen Kletterrosen infrage oder eher Bodendeckerrosen? Die Auswahl trifft man am besten, wenn man schaut, welche Sorten zu vorhandenen Standorten passen. Dabei ist dringend daran zu denken, dass die Rose ein Sonnenkind ist. Ein halber Tag Sonne reicht, aber weniger sollte es nicht sein. Nordlagen sind auszuschließen.

Welchen Boden brauchen Rosen?

Sie bevorzugen einen durchlässigen, gut belüfteten Boden. Er muss so beschaffen sein, dass kein Wasser stehen bleibt. Man kann die Bodenstruktur vor dem Pflanzen mit Kompost verbessern.

Wie gestaltet sich die Pflege von Rosen im Jahreslauf?

Forsythien sind Zeigerpflanzen für das Ende des Hochwinters. Wenn sie blühen, ist es Zeit für den ersten Rosenschnitt. Das ist in der Regel Ende Februar oder Anfang März. Zumeist wird geraten, Rosen zweimal im Jahr zu düngen, Ende März und im Juni. Ich verwöhne meine Rosen mit einem dritten Düngen nach der ersten Blüte, dem ersten „Rosenflor“. Nach der ersten Blüte im Juni und Juli erfolgt auch der Rückschnitt. Rosen können pro Jahr dreimal zur Blüte kommen.

Wie und wo kann man sich als Laie zum Thema Rosen weiterbilden?

Der Rosengarten in Zweibrücken bietet dazu einiges an. Zunächst würde ich aber empfehlen, nach Literatur zu schauen. Auch die regionalen Freundeskreise der Deutschen Rosengesellschaft sind gute Anlaufstellen für Information und Beratung.

Gibt es eine besondere Verbindung der Pfalz zur Rose?

Nein, die gibt es nicht. Außer vielleicht durch die Namen von ein paar Rosensorten. So gibt es die „Fritz-Walter-Rose“, die „Helmut-Kohl-Rose“ oder die Rose „Ludwigshafen am Rhein“. Klar, man könnte die Wingertrosen als typisch pfälzische Sache beschreiben. Das wäre aber übertrieben, weil Wingertrosen überall dort gepflanzt werden, wo es Wein gibt.

Was gehört zu den verbreiteten Irrtümern in Bezug aus Rosen?

Dass Rosen Dornen haben. Im botanischen Sinn ist es korrekt, von „Stacheln“ zu sprechen. Bei den Kakteengewächsen sind es „Dornen“ und keine Stacheln. Ein Dorn ist nämlich laut biologischer Systematik ein Teil der Pflanze selbst, wie ein Zweig oder Blatt, während Stacheln zur Hülle, der Epidermis oder der Rinde eines Gewächses gehören.

Wer Holger Enger und sein Rosenfeld kennenlernen möchte, hat dazu von März bis Oktober samstags von 8 bis 12 Uhr Gelegenheit. Adresse: Eckstraße 24, 67433 Neustadt-Haardt, Telefon 0151 15778184.

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Heckrinder & Co.

Landschaftspfleger auf vier Beinen

Wein- und Ackerbau sind in der Pfalz weit verbreitet, deutlich weniger landwirtschaftliche Betriebe legen den Schwerpunkt jedoch auf Viehhaltung. So gehören weidende Rinderherden ohnehin nicht überall zum gewohnten Bild. Und dort, wo Wiederkäuer über die Wiesen streifen, sehen sie nicht unbedingt so aus, wie man Rinder allgemein kennt. Die teils außergewöhnlichen Rassen erfüllen eine wichtige Aufgabe: Sie dienen dem Naturschutz.

Foto: Julia Köller

Seelenruhig stapft ein Rind durch den vom tagelangen Regen aufgeweichten Boden, um das frische Gras zu fressen. Dass es Beobachter hat, scheint das Tier kein bisschen zu stören. Die Weide endet unmittelbar vor dem Außengelände der Grillhütte in St. Martin. Dort beginnt auch der Auerochsenweg, auf dem man rund 4,5 Kilometer um das 44 Hektar große Gehege oberhalb des Sandwiesenweihers wandern kann. Ein Auerochse ist das massive Rind mit den beeindruckend langen Hörnern freilich nicht. Diese Rasse gilt seit 400 Jahren als ausgestorben. Bei der Kuh und ihren Artgenossen handelt es sich um Heckrinder – eine sogenannte Abbildzüchtung. Die Brüder Heinz und Lutz Heck haben in den 1920er Jahren durch Kreuzung verschiedener Rinderrassen den Auerochsen gewissermaßen wiederauferstehen lassen.

Die idealen Landschaftspfleger

In der Pfalz sind die Tiere allerdings mehr als nur eine zoologische Attraktion. Sie arbeiten ganz offiziell für den Naturschutz, denn sie erledigen eine wichtige Aufgabe: Indem sie einfach das tun, was Rinder am liebsten tun – fressen und umherwandern – sind sie die idealen Landschaftspfleger. „Ohne sie würde die ganze Fläche verbuschen“, sagt Peter Hiery, auf dessen Initiative hin die Heckrinder seinerzeit nach St. Martin kamen. Der 68-Jährige, der 30 Jahre lang dem Verbandsgemeinderat angehörte, kümmert sich ehrenamtlich um die der Gemeinde St. Martin gehörenden Herde, die seit 2011 kostenintensive Pflegearbeiten auf den Wiesen unnötig macht. Kümmern bedeutet dabei vor allem, nach dem Rechten zu schauen.

Für Besucher gilt: Füttern verboten!

Es gehört zum Konzept des Beweidungsprojekts, dass die Menschen nicht mit Futter oder Medikamenten eingreifen. Lediglich um die Tiere so zu konditionieren, dass sie sich in Notsituationen von Hiery anlocken lassen, bringt er ihnen immer wieder etwas mit. Für Besucher und Wanderer gilt jedoch ausdrücklich: füttern verboten! Alles, was die Heckrinder brauchen, finden sie in ihrem Gehege. Dass das zum Teil bewaldet ist, entspricht dabei laut dem Experten ihrer Natur. „Rinder sind ursprünglich Waldbewohner“, klärt Peter Hiery auf. Und so wechseln die derzeit acht Tiere – Leitkuh Sahneschnut, die Kühe Funny und Dickhorn, die Kälber Romeo, Charly und Hannah sowie die Bullen Gino und Carlos – ganz nach Lust und Laune zwischen Wald und Wiese.

Biodiversität verdreifacht

„Wir wollen die Biodiversität erhöhen“, erläutert Peter Hiery das zweite große Ziel neben dem Offenhalten der Fläche. Was bereits erreicht wurde, belegen wissenschaftliche Untersuchungen verschiedener Universitäten und Forschungseinrichtungen, die das Projekt dauerhaft begleiten. Nachdem zu Beginn der Nullzustand erfasst und kartiert worden sei, habe man bereits fast eine Verdreifachung der Biodiversität festgestellt, freut sich der Kümmerer. Waren es 2011 neun Dungkäferarten, tummelten sich drei Jahre später bereits 26 Arten auf der Fläche. Auch die Blauflügelige Ödlandschrecke sei inzwischen im Gehege heimisch, so Hiery. „Das ist ein Zeigertier. Wenn sie in einem Magergebiet vorkommt, sind die Naturschützer und der Förster zufrieden.“ Auch eine Fledermausstube sei das Gelände seit dem Einzug der Herde geworden. Und neue Pflanzenarten hätten sich ebenfalls angesiedelt.

Heckrinder auf der Weide
BEWEIDUNG Die Heckrinder müssen nur fressen und Kuhfladen hinterlassen. Sie kamen auf Initiative von Peter Hiery, hier mit einer Besuchergruppe, nach St. Martin. Fotos: Julia Köller
Peter Hiery bei einer Führung

Tiere wissen sich selbst zu helfen

Die Heckrinder müssen nur fressen und ihre Kuhfladen überall hinterlassen. „Sie verteilen den Samen gleichmäßig und kultivieren den Boden“, fasst Hiery die Vorteile der genügsamen Landschaftspfleger zusammen. Zudem selektieren sie die Bäume und schaffen eine halboffene, lichtdurchflutete Landschaft ganz nach den Wünschen der Naturschützer. „Der einzige Nachteil ist, dass sie Kastanien schälen“, merkt Hiery an. Aber mit diesem kleinen Makel können alle Beteiligten gut leben. Ansonsten bringen die Rinder offenbar nur Vorteile mit sich. So sind sie äußerst robust und können im Winter sogar Temperaturen bis minus 28 Grad Celsius aushalten. Anfällig für Krankheiten sind sie ebenfalls nicht und wissen sich selbst zu helfen. „Sie nutzen Pflanzen als Apotheke“, erklärt Peter Hiery, der auch regelmäßig Führungen anbietet.

Wanderer müssen Abstand halten

Wanderer, die auf dem Rundweg auch ein Stück durch das Gehege gehen müssen, lassen die ausgeglichenen Tiere in Frieden ziehen. Allerdings sei es wichtig, dabei gewisse Regeln zu beachten und Abstand zu halten, mahnt der Fachmann: „Man darf den Weg nicht verlassen, keinen Hund mit ins Gehege nehmen und keine Selfies mit den Tieren machen.“ Als Fleischlieferanten dienen die Auerochsen-Abbilder in St. Martin jedoch nicht. „Wir möchten eigentlich kein Tier schlachten“, betont Hiery. Deshalb kommen überzählige Rinder in der Regel in andere Herden.

Ein Hauch amerikanischer Prärie

Anders sieht es bei einer Rinderrasse aus, bei deren Anblick in der Pfalz sich so mancher vermutlich verwundert die Augen reibt: In Schweighofen und Kapsweyer weiden Bisons und verbreiten einen Hauch amerikanischer Prärie. Ihr Fleisch ist eine echte Rarität und noch dazu sehr schmackhaft und von hoher Qualität. „Es ist wahnsinnig zart und hat fast überhaupt kein Fett und Cholesterin“, schwärmt Diplom-Agraringenieur Thomas Kieffer, dem die Tiere gehören. Zugleich sind aber auch diese Rinder ausgezeichnete Landschaftspfleger. Seit März 2022 setzen sie mit ihrem Appetit und ihrem Bewegungsdrang eine Maßnahme des Naturschutzgroßprojekts Bienwald um: die halboffene Weidenutzung.

Der Bestand muss reguliert werden

Für Pächter Kieffer kam das Projekt gelegen, da sein ältester Sohn schon einige Jahre zuvor die Idee hatte, zusätzlich zur Rasse Charolais auch Bisons zu halten. Den Verantwortlichen hätten ursprünglich Wisente vorgeschwebt, erinnert sich Thomas Kieffer. Doch es gebe einige Argumente dagegen. „Der Wisent ist ein Angriffstier“, nennt der 48-Jährige eines davon. Der Bison dagegen sei ein Fluchttier, sodass von ihm geringere Gefahr ausgehe. Auch die Tierbeschaffung sei bei Wisenten schwierig, da sie kaum gezüchtet würden. Und sie seien geschützt, was die Schlachtung ausschließe. „Es war aber von Anfang an klar, dass der Bestand reguliert werden muss, und dass wir auch Fleisch verkaufen wollen“, sagt der Landwirt. Allerdings werden immer nur einzelne Tiere geschlachtet, die zu diesem Zeitpunkt etwa drei Jahre alt sind. Der Aufwand für das Schlachten ist sehr hoch, denn es erfolgt per Weideschuss durch einen Jäger. Ein Metzger und ein Veterinär müssen dazu ebenfalls auf die Weide kommen. Entsprechend teuer ist ein Bisonsteak, Braten oder Filet.

Bisons im Schnee
Foto: privat
Thomas Kieffer
GRANDIOSER ANBLICK Die rund 30 Tiere umfassende Bisonherde von Thomas Kieffer streift bei WInd und Wetter auf dem weitläufigen Gelände bei Schweighofen umher. Foto: Julia Köller

„Fast etwas Meditatives“

Die Herde befindet sich derzeit noch im Aufbau. Rund 30 Tiere streifen auf dem weitläufigen Gelände in Schweighofen umher. „Es ist faszinierend, sie zu beobachten“, sagt Thomas Kieffer. „Sie sind total ruhig und relaxed. Es hat fast etwas Meditatives.“ Erst recht, weil die Bisons kaum ein Geräusch von sich geben. Und wenn sie sich doch mal äußern, ist es kein Muhen. „Es ist eher ein Grunzen“, erklärt der Schweighofener. Wenn er sie ruft, kommen sie angelaufen und machen dabei immer mal wieder kleine Sprünge. 60 bis 70 Stundenkilometer können die wuchtigen Tiere laut ihrem Besitzer erreichen.

Die Leitkuh ist die Chefin

Ebenso wie Peter Hiery es bei den Heckrindern macht, lockt auch Kieffer seine Bisons mit trockenem Brot an, um sie zu konditionieren. Und auch ihm ist es sehr wichtig, dass Spaziergänger die Tiere auf keinen Fall füttern. So friedlich die Bisons die meiste Zeit auch sind, beim Thema Nahrung verstehen sie keinen Spaß. „Der Futterneid ist groß“, berichtet Kieffer. Und tatsächlich setzen einige Exemplare ihre breite Stirn ein, um Konkurrenten von den Brötchen wegzuscheuchen. „Die Bullen haben nichts zu sagen“, klärt der Landwirt auf. „Die Leitkuh ist die Chefin.“ Dennoch ist das Konfliktpotenzial zwischen den Bullen größer, weshalb die männlichen Jungtiere auf die zweite Weide in Kapsweyer gebracht werden.

Auch Störche fühlen sich hier wohl

Auch wenn die Bisons noch nicht so lange als Landschaftspfleger arbeiten, wurde durch ihre extensive Weidehaltung schon einiges erreicht. Insekten, Frösche, Störche und Reiher fühlten sich in dem Gehege wohl, berichtet Kieffer. Auch Rehe habe er schon innerhalb des Zauns gesehen, fügt er hinzu. Wie sie dort hineingelangen konnten, sei ihm jedoch ein Rätsel.

Dank der Robustheit perfekt geeignet

Während die Bisons Wildtiere sind und es auch bleiben sollen, gehören die ursprünglich aus Schottland stammenden Galloways zu den Hausrindrassen. Doch auch sie eignen sich dank ihrer Robustheit perfekt dafür, ganzjährig im Freien gehalten und zur Landschaftspflege eingesetzt zu werden. In dieser Funktion sind sie auch in verschiedenen Orten bei Annweiler am Trifels im Einsatz. Vor 34 Jahren hat Andrea Burkard in Völkersweiler damit begonnen, ihren Betrieb aufzubauen. Zwischenzeitlich umfassten die Herden ihrer Galloway-Zucht „Am Adelberg“ 140 Tiere. Aktuell sind es um die 100.

Andrea Burkard mit ihren  Galloways
PURE IDYLLE Die Herden der Galloway-Zucht “Am Adelberg” umfassten zwischenzeitlich rund 140 Tiere. Aktuell sind es um die 100. Foto: Julia Köller

Anblick ist pure Idylle

„Ich habe Landespflege studiert mit Schwerpunkt Natur- und Artenschutz“, sagt die 57-Jährige. Thema ihrer Diplomarbeit sei der Einsatz von Nutztierrassen in der Landschaftspflege gewesen. Als sie dann nach einigen Jahren im Biotopmanagement den Entschluss fasste, selbst Tiere zu halten, war es demnach logisch, dass es dabei nicht nur um die Fleischproduktion gehen sollte. Zwei Mutterkuhherden mit je einem Deckbullen, eine Jungbullen-Herde und eine mit Altkühen und jungen weiblichen Tieren, die noch nicht gedeckt werden sollen, weiden auf Flächen bei Völkersweiler, Wernersberg, Annweiler, Rinnthal und Lug. Ihr Anblick ist pure Idylle, denn Galloways sehen mit ihrem zotteligen Fell nicht nur kuschelig aus, sie sind auch von ihrem Wesen her gelassen und friedfertig.

Regionalität im Mittelpunkt

Für Andrea Burkard gilt das Prinzip: Regionalität von der Geburt bis zu den Verarbeitungsprozessen. Fast alle ihre Tiere gehen auf die ersten Muttertiere zurück. Nur die Bullen muss die Züchterin zukaufen. Die etwa 30 bis 40 Kälber pro Jahr bleiben bis zum Abnabelungsprozess bei den Kühen. Und zumindest die Kühe erreichen ein hohes Alter, das ihrer natürlichen Lebenserwartung entspricht. Wenn sie Bullen schlachten lässt, fährt Andrea Burkard sie dafür zum nahegelegenen Bio-Betrieb Bärenbrunnerhof, um den Tieren Stress und weite Wege zu ersparen. Das Fleisch wird zu 80 Prozent direkt im Verkauf ab Hof vermarktet, der Rest geht an Naturkost- und Hofläden. Und das Interesse sei gleichbleibend groß. „Rund 90 Prozent sind Stammkunden“, freut sich Burkard.

Orchideen breiten sich wieder aus

Mindestens ebenso wichtig wie der gut laufende Betrieb ist Burkard der ökologische Nutzen ihrer Herden. „90 Prozent unserer Flächen sind naturschutzwürdig“, sagt sie. Doch viele Arten, darunter Orchideen und Kräuter, die auf der Roten Liste stehen, seien seinerzeit durch die Nutzungsaufgabe zurückgegangen. Durch die Galloways konnte dieser Prozess umgekehrt werden. Wissenschaftlich dokumentiert wird die Entwicklung der Artenvielfalt durch Burkards Bruder Oliver Röller, der Biologe und Gründer des Instituts für Naturkunde in Südwestdeutschland ist. Die Bilanz kann sich sehen lassen: „Wir haben viele Orchideen, die durch die Offenhaltung und extensive Beweidung erhalten werden und sich ausbreiten. Wir haben einen unglaublichen Insektenreichtum und damit einhergehend viele Vögel, auch Rote-Listen-Arten wie den Neuntöter“, zählt die Landwirtin einige Beispiele auf.

Glandrinder stark gefährdet

In Kirrweiler hält der gelernte Landwirt Frank Riesterer derweil einige Rinder, deren Rasse selbst als stark gefährdet auf der Roten Liste steht. Das Glanrind war früher vor allem in Rheinland-Pfalz verbreitet. Anfang der 1980er Jahre galt es als fast ausgestorben. Heute sind wieder rund 2000 Tiere erfasst. Riesterer, der hauptberuflich bei der Deichmeisterei in Speyer arbeitet, kam vor etwa 25 Jahren zu den Rindern. Damals, noch gemeinsam mit einem Partner, begann er, die traditionelle Hausrindrasse zu züchten und so zu bewahren. „Es ist eine Dreinutzungsrasse – Arbeit, Fleisch und Milch“, erklärt der 57-Jährige. „Sie eignen sich sehr gut zur Mutterkuhhaltung. Sie kümmern sich gut um ihr Kalb und sind vom Futter her nicht so anspruchsvoll“, führt Riesterer aus. Letzteres sei auch der Grund, warum man sie gut in der Landschaftspflege einsetzen könne.

Tiere mit individuellen Charakteren

Aktuell sieben Tiere umfasst die kleine Herde, die Riesterer auf einem Gelände mit angrenzendem Laufstall hält. Dort weiden die Tiere eine Wiese ab, die als Kaltluftabzug der Weinberge dient. Im Winter muss er allerdings mit Heu und Getreide von seinen eigenen Flächen füttern, ebenso wenn die Weide witterungsbedingt zu wenig hergebe. Da sie genau wissen, dass es sich lohnen kann, kommen die hell- bis dunkelgelben Rinder sofort angelaufen, wenn sich ihr Besitzer nähert. „Das Glanrind an sich ist eine umgängliche Rasse“, weiß dieser. Doch die Tiere hätten sehr unterschiedliche Charaktere und bekämen auch mal „ihre fünf Minuten“. Was das bedeuten kann, zeigt der Bulle, als er mangels Konkurrent kurzerhand mit einem dicken Baumstamm rangelt.

Glanrinder auf der Weide
UMGÄNGLICHE RASSE Frank Riesterer züchtet seit etwa 25 Jahren Glanrinder. Fotos: Julia Köller
Frank Riesterer

Kleine Attraktion für Spaziergänger

Drei bis vier Tiere lässt Riesterer pro Jahr bei der Landfleischerei in Busenberg schlachten. Rund 360 Kilo Schlachtgewicht erreiche so ein Bulle, sagt der Nebenerwerbslandwirt. Das Fleisch vermarkten er und seine Frau direkt. Die Milch der Kühe bleibt ganz den Kälbern überlassen. Die Herde darf ansonsten einfach ihr Leben im beschaulichen Kirrweiler genießen. Und als kleine Attraktion herhalten, denn direkt an der Weide führen Spazierwege vorbei, die gerne und viel genutzt werden.

Vorteile sprechen sich herum

So wie in Kirrweiler gibt es in einigen Orten in der Pfalz vierbeinige Bewohner zu entdecken, die man vielleicht dort nicht erwarten würde. Denn auch wenn die Region eher für Wein oder auch Gemüse bekannt ist, haben sich die Vorteile von Rindern als Landschaftspfleger herumgesprochen. Neben den Heckrindern, Bisons, Galloways und Glanrindern finden sich noch weitere nicht alltägliche Rassen. So beweiden etwa Wasserbüffel unwegsames Gelände in Erlenbach bei Dahn oder im Hornbachtal. Auch schottische Highlandrinder sind in der Pfalz im Einsatz, beispielsweise in Limburgerhof. Es kann sich also durchaus lohnen, mit offenen Augen durch die Landschaft zu gehen.

Peter Hiery bietet regelmäßig Führungen zum Thema Heckrinder an. Informationen im Internet, per E-Mail an tourismus@sankt-martin.de, unter Telefon 06323 5300 oder bei Peter Hiery unter 0170 2404804. Ob aktuell Bisonfleisch vorrätig ist, ist ebenfalls im Netz zu erfahren. Dort finden sich auch weitere Informationen zu den Galloways.

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Pfälzer Museumstour

Schätze des Alltags

Ein praktischer Gegenstand mit einer interessanten Geschichte, ein konzentrierter Blick auf das Leben in vergangener Zeit und ein Buch, das für viele fest in ihren Alltag gehört. Viele Museen in der Pfalz legen den Fokus auf Dinge, die einen konkreten Bezug zum Leben der Menschen haben. So führt die Museumstour dieses Mal zum Ziegeleimuseum in Jockgrim, ins Puppenstubenmuseum in Jakobsweiler und in das Bibelmuseum in Neustadt.

Fotos: Julia Köller
Mehrere Ziegel auf einem Ständer im Museum
RELIKTE DER VERGANGENHEIT In Jockrim findet sich eine Auswahl verschiedenster Ziegel.

In der Ortsgemeinde Jockgrim stand einst eine der weltweit größten Ziegeleien. Die Falzziegelwerke Carl Ludowici waren 1896 vollständig von Ludwigshafen in die neu errichteten Fabrikgebäude gezogen und galten mit einer Jahresproduktion von etwa 24 Millionen Ziegeln als Marktführer in Europa. Bis in die 1970er- Jahre war die Ziegelei in Betrieb, ehe ein Brand große Teile der Werke zerstörte. Das restaurierte Pressehaus der Ziegelei steht heute noch und beherbergt seit 1996 das Ziegeleimuseum, in dem die Geschichte der Ziegelherstellung in Jockgrim dokumentiert ist. Ein Blickfang ist das Backsteingebäude auch von außen, denn das Dach ist mit farbigen Ziegeln in einem auffälligen Muster gedeckt und somit selbst ein Aushängeschild der ehemaligen Fabrik. Eine Auswahl verschiedenster Ziegel findet sich zudem im Innern des Museums, denn sie können sowohl in Form als auch in der Farbe stark variieren.

Revolverpresse läuft heute noch

Sabine Baumann
Sabine Baumann


Eine Besonderheit der Firma der Familie Ludowici ist der damals einzigartige Falzziegel Z1, den sich sein Erfinder Wilhelm Ludowici, Sohn des Firmengründers, 1881 patentieren ließ. Auch die Revolverpresse, mit der sich die Ziegel einfacher und schneller fertigen ließen, war seine Erfindung. Ein im Museum ausgestelltes Exemplar lässt sich sogar noch in Gang setzen. „Die Ludowicis sind wegen der guten Tonqualität hierher gekommen“, weiß die scheidende Ortsbürgermeisterin Sabine Baumann, die während ihrer Amtszeit für das Museum zuständig war. Für die Gemeinde war die Fabrik als Arbeitgeber wichtig, auch wenn es in der Bevölkerung unterschiedliche Ansichten dazu gegeben habe. „Heute sind wir froh über die Ziegelei und zeigen sie auch gern“, so Baumann.

Ringofen ist vollständig begehbar

Ringofen im Ziegelmuseum
BESONDERER HÖHEPUNKT Der begehbare Ringofen ist zu großen Teilen erhalten.

Das Museum widmet sich unter anderem der Darstellung des Herstellungsprozesses, die mit dem Holzmodell beginnt und mit dem fertigen Ziegel endet. Ein Höhepunkt ist dabei der noch zu großen Teilen erhaltene Ringofen, der vollständig begehbar ist. „Die Brenntemperatur betrug bis zu 1150 Grad Celsius“, erklärt die 60-Jährige. „Die Ziegel waren zuvor in der oberen Etage vorgetrocknet worden.“ Von der Seite des ovalen Ofens wurden die Ziegel ausgetauscht, im Gang brannte das Feuer. Beispielhaft sind noch einige Ziegel so aufgeschichtet, wie es damals praktiziert wurde.

Ein Ingenieur mit vielen Ideen

Heute befindet sich über dem Ringofen die Verwaltung der Verbandsgemeinde, in deren Neubau das alte Gemäuer integriert wurde. Da die Zugänge zum Ofen vom Eingangsbereich aus sichtbar sind, bekommen alle Besucher des Bürgerhauses einen Einblick in die Geschichte des Ortes. Zu dieser Geschichte zählen aber neben den Ziegeln auch verschiedene Erfindungen von Johann Wilhelm Ludowici, der die Fabrik ab 1923 leitete. Der Ingenieur hatte viele Ideen, die mal mehr und mal weniger Beachtung fanden. Das „Dachhaus“ etwa, von dem ein Modell im Museum ausgestellt ist, habe sich nicht durchsetzen können, berichtet Sabine Baumann.

Von Jockgrim bis nach London

Historische Aufnahme eines Kugelhauses auf der Themse in London
WEIT GEREIST Das Kugelhaus, eine der Erfindungen von Johann Wilhelm Ludowici, wurde 1958 in London auf der Themse transportiert.

Für mehr Aufsehen sorgte da schon das so genannte Kugelhaus, das der findige Unternehmer entwarf. Gedacht war es als leicht transportierbares und platzsparendes Zwei-Personen-Haus, das aufgrund seiner runden Form kein Fundament benötigt. Bei einem Durchmesser von 4,50 Metern enthielt es voll ausgestattet alles, was man zum Wohnen braucht: Küche, Essplatz, Wohn-Schlafzimmer und ein kleines Bad. Die Erfindung aus Jockgrim fand weltweit Beachtung. So zeigen Bilder etwa, wie eines der Kugelhäuser 1958 auf der Themse in London transportiert wurde. Ludowici habe sich ganze Siedlungen mit diesen Häusern vorgestellt. „Es kam aber nie über einen Prototypen hinaus“, so Baumann. Zumindest auf seinem Platz vor dem Museum lässt sich das Raumwunder aber auch heute noch bestaunen.

Lebenswelten im Kleinformat

Während das Kugelhaus schon als klein bezeichnet werden kann, sind die Wohnräume, die in Jakobsweiler ein Museum füllen, geradezu winzig. Das passt gut, denn auch das Gebäude selbst ist nicht sonderlich groß, da es sich um das frühere Milchhäuschen der Ortsgemeinde im Donnersbergkreis handelt. Seit 2001 beherbergt es das Puppenstubenmuseum, das auf knapp 40 Quadratmetern Exponate aus den 1930er- und 1950er-Jahren sowie wechselnde Sonderausstellungen zeigt.

Puppenstube im Museum
Puppenstube im Museum
KLEIN, ABER FEIN Das Puppenstubenmuseum in Jakobsweiler zeigt Exponate aus den 1930er- und 1950er-Jahren sowie wechselnde Sonderausstellungen.

Viel mehr als nur altes Spielzeug

Die liebevoll in Glasvitrinen arrangierten Miniatur-Lebenswelten sind viel mehr als nur altes Kinderspielzeug. Sie sind ein Abbild des damaligen Lebensstils und Lebensgefühls und vermitteln durch einzelne Accessoires auch einen Einblick in historische Zusammenhänge. „Es ist ein Stück Zeitgeschichte“, betont Rosemarie Hahn, die als 1. Vorsitzende des Fördervereins Puppenstubenmuseum für das Museum verantwortlich ist. So stehe etwa in mehreren Wohnzimmern aus den 1930er-Jahren der sogenannte Volksempfänger – ein preiswertes Rundfunkgerät, das im „Dritten Reich“ entwickelt wurde, damit möglichst jeder Einwohner die Propagandareden empfangen konnte.

Schlafzimmer einer Puppenstube
EINBLICKE Bei der Einrichtung der Puppenstuben wurde großer Wert darauf gelegt, dass sämtliche Details in die jeweilige Zeit passen.
Küche einer Puppenstube

Lyrikerin weckt Sammelleidenschaft

Dem Zweiten Weltkrieg ist es denn auch geschuldet, dass sich bei den Exponaten eine Lücke auftut. „In den 1940er-Jahren gab es nicht so viele Puppenstuben“, sagt Hahn. Die 75-Jährige selbst hat dem Museum zahlreiche Exponate aus den 1930er- Jahren zur Verfügung gestellt. Mit der Sammelleidenschaft infiziert worden sei sie von der Lyrikerin Susanne Faschon, die in Jakobsweiler ein Ferienhaus besaß und Puppenstuben aus dem 19. Jahrhundert sowie bis 1920 gesammelt habe. Faschons Schwester Ingeborg Michno, die ebenfalls bis zu ihrem Tod in Jakobsweiler lebte, habe sich derweil auf Exemplare aus den 1950er-Jahren konzentriert. „Ich habe dann das gesammelt, was gefehlt hat“, erzählt Hahn schmunzelnd. Auch Ingeborg Michno brachte ihre Puppenstuben in das Museum ein und arbeitete selbst lange Zeit im Museumsteam mit. Von ihrer Schwester Susanne Faschon konnte zumindest ein Exemplar für die Ausstellung gesichert werden – ein Wohn-Esszimmer aus den 1920er-Jahren mit originalgetreu nachgebauten Möbeln des elterlichen Zimmers.

Details passen in die jeweilige Zeit

Bei der Einrichtung der Puppenstuben wurde darauf geachtet, dass jedes Detail in die jeweilige Zeit passt – von der Tapete über die Möbel und Dekoration bis hin zur mit Püppchen dargestellten Szene. So sieht man in Küchen aus den 1930er-Jahren, wie mit einem auf dem Herd erhitzten Eisen gebügelt oder in einer Zinnwanne ein Kind gebadet wird. „Die Mädchen haben die Puppenstuben damals auch bekommen, um sie auf ihr Leben als Hausfrau vorzubereiten“, erklärt Rosemarie Hahn. Männer aus dieser Zeit sind im Museum derweil unter anderem in einem mit dunklen Möbeln eingerichteten Herrenzimmer zu finden.

Poster von Elvis und Peter Kraus

In den 1950ern waren die Rollenmodelle offenkundig schon ein wenig verändert. In einem mit Elvis- und Peter-Kraus-Postern dekorierten Jugendzimmer wird wild getanzt. Und in den Küchen aus dieser Zeit sind viele Geräte zu sehen, die den Frauen die Arbeit erleichtern. Gegenüber dem opulenteren Möbelstil mit Verzierungen und Intarsien in den 1930ern hatte sich der Geschmack 20 Jahre später gewandelt: In den neueren Puppenstuben finden sich klare Formen und viel Plastik. „Nierentisch und Tütenlampen, das steht für die 1950er-Jahre“, sagt Sammlerin Hahn. „Und der Gummibaum“, fügt sie hinzu. Selbstverständlich ist auch er in der Ausstellung zu finden.

Nachbau bis ins kleinste Detail

Wer sich Zeit nimmt und die Puppenstuben genauer betrachtet, wird immer wieder neue faszinierende Details entdecken. Die Vielfalt der Rundfunkgeräte im Radioladen zum Beispiel, das Kind eines schwarzen GIs, eines US-amerikanischen Soldaten, in einer typischen Ein-Raum-Wohnung aus den 1950ern, selbst verlegtes Parkett im Miniaturformat oder auch die Nachbildung einer der frühen Registrierkassen mit Laufband. Sogar eine Kirche aus den 1950ern gibt es im Puppenstubenmuseum. Und es ist nicht einfach irgendein ausgedachtes Gotteshaus. „Ein Pfarrer hat sie seiner Kirche nachbauen lassen, um seinen Neffen zum Priestertum zu animieren“, verrät Rosemarie Hahn. Der Plan ist ihr zufolge am Ende nicht aufgegangen. Doch Freude bereitet hat das besondere Puppenhaus dem Kind bestimmt.

Das Buch der Bücher im Mittelpunkt

Die kleine Kirche würde auch gut in ein weiteres Museum passen, das sich einem ganz speziellen Thema widmet. Was genau den Besucher im Pfälzischen Erlebnis-Bibelmuseum in Neustadt erwartet, lässt der Name schon erahnen. Doch erst im Innern ist zu erkennen, dass sich über das Buch der Bücher tatsächlich ein ganzes Museum füllen lässt. Als das Bibelhaus des Pfälzischen Bibelvereins 1992 eröffnet wurde, war es noch gar nicht als Museum angelegt. Zwar befand sich neben einer Buchhandlung schon damals eine Ausstellung in den Räumen, doch war sie noch anders aufgebaut und nicht so umfangreich wie heute.

Erleben und Mitmachen

Mittlerweile stehen im ersten Teil der Ausstellung das Erleben und Mitmachen im Mittelpunkt. Dabei kommt auch das imposanteste Exponat in diesem Bereich zum Einsatz: der Nachbau einer hölzernen Druckerpresse wie zu Zeiten Johannes Gutenbergs. Als Teil der „Lernstraße Bibelwelt“ wird an dieser Station der Psalm 23 im Schriftbild der Luther-Bibel aus dem Jahr 1545 gedruckt. Wie Gemeindediakon und Museumspädagoge Tim Versteegen weiß, ein besonderes Erlebnis vor allem für Schulklassen, die den Großteil der Besucher ausmachen.

Tim Versteegen (links) und Michael Landgraf
Exponate im Bibelmuseum
AUF ZEITREISE Im Bibelmuseum lassen Tim Versteegen (links) und Michael Landgraf auch durch das Ausstellen archäologischer Fundstücke die biblischen Geschichten lebendig werden.

Zeitreise beginnt etwa 3000 vor Christus

„Eine Führung beginnt meistens beim Erzähl-Zelt“, sagt der 41-Jährige. „Ich nehme die Kinder mit auf eine Zeitreise.“ Die beginnt etwa 3000 vor Christus und damit, wie Menschen damals Geschichten aufgeschrieben haben. Vom Stein und Ton führte der Weg über Wachstafeln bis zum Papyrus, das lange Zeit für Schriftrollen gebräuchlich war. Später gab es zwar Papier, doch das Teilen von Geschichten – auch der Heiligen Schrift – war immer noch eine mühsame Angelegenheit. „Die Mönche schrieben die Bibel ab“, erklärt der Experte. Und um selbst zu erleben, wie anstrengend und zeitaufwendig das war, können die Besucher sich in der Schreibwerkstatt selbst an dem kunstvollen Schreiben mit der Feder versuchen. Die Reise führt weiter in die Zeit von Martin Luther, über den im Bibelmuseum einiges zu erfahren ist. Nicht zuletzt gehört auch ein Exemplar der letzten von ihm selbst bearbeiteten Bibelausgabe, die „letzte Hand“ von 1545, zu den Exponaten. Diese seltene Bibel liegt jedoch hinter Glas in der Schatzkammer des Museums, die sich noch eine Etage tiefer befindet.

Biblische Szenen mit Lego nachgestellt

Die Lernstraße Bibelwelt wurde vom Theologen und Historiker Michael Landgraf, Museumsleiter und Leiter des Religionspädagogischen Zentrums Neustadt, analog zu seiner Lernmaterialien-Reihe „ReliBausteine“ entwickelt. „Wir versuchen, die Vielfalt der Bibel darzustellen“, sagt der 62-Jährige. Und dazu gehören auch Bibeln, die auf den ersten Blick gar nicht als solche zu erkennen sind. So gibt es dort auch eine „Bibel für Minecrafter“, die biblische Geschichten in die Welt des Computerspiels Minecraft katapultiert. Für die „Berliner Bibel“ wurden biblische Szenen mit Lego nachgestellt. Und in „Manga Messias“ sind Jesus und seine Begleiter im Manga-Stil gezeichnet. Es gehe darum, die Bibel in Sprachen zu übersetzen, die verstanden werden, erklärt Landgraf. „Lego ist eine Sprache, Manga ist ebenfalls eine Sprache.“ Und auch jede Mundart habe ihre eigene Bibelausgabe, natürlich auch das Pfälzische.

Fundstücke machen Geschichten lebendiger

Archäologische Fundstücke lassen die biblischen Geschichten noch lebendiger werden. Dabei sieht ein ganz besonderes Exponat gar nicht so spektakulär aus: Es handelt sich um ein kleines Tongefäß. „Das ist ein Kochtopf für eine Person aus der Zeit Jesu, der auf Reisen mitgenommen wurde“, so Landgraf. Gefunden worden sei er am See Genezareth. Auch eine Auswahl an historischen Öllampen findet sich in den Vitrinen.

Wertvollste Exponate in der Schatzkammer

Die wertvollsten Stücke, die seltenen und teils jahrhundertealten Bibeln, werden in der Schatzkammer aufbewahrt. „Wir haben eine der größten Sammlungen reformierter Bibelausgaben, die es gibt“, sagt der Museumsleiter stolz. Den Schwerpunkt lege das Museum auf Neustadter Bibeln. Sie seien auch die ersten mit Verszählung gewesen, erklärt der Fachmann. Seit 2019 ist das Museum sogar stolzer Besitzer einer Prachtausgabe der Neustadter Bibel von 1594, die im Zentrum der Bibelausstellung in der Schatzkammer steht. Allein in diesem Raum werden so viele besondere Exemplare der Heiligen Schrift präsentiert, dass fachkundige Besucher Stunden in der Schatzkammer verbringen können. Auch Michael Landgraf gerät ins Schwärmen, wenn er über die Exponate spricht. „Sie gilt als die wohl schönste Bibel der vorlutherischen Bibeldrucke“, sagt er etwa über die mit Holzschnitten verzierte Koberger-Bibel von 1483. Außergewöhnlich seien auch die erste koreanische Bibel, eine tibetanische und sogar eine Bibel aus Ghana.

Ein Exponat im Bibelmuseum
Ein Exponat im Bibelmuseum
BESONDERE EXPONATE Eine der größten Sammlungen reformierter Bibelausgaben, die es gibt, wird im Erlebnis-Bibelmuseum ausgestellt.
Ein Exponat im Bibelmuseum
Blick ins Bibelmuseum

Die größte und die kleinste Bibel der Welt

Nicht besonders alt, aber dennoch sehr besonders sind auch zwei Bibeln, die wiederum als Teil der „Lernstraße Bibelwelt“ gezeigt werden: „Wir haben hier die größte und die kleinste Bibel der Welt“, verrät Tim Versteegen. Zugegeben, von der größten Bibel sind nur kleine Teile im Museum, denn sie bedeckte als Plane bei der „Weltausstellung Reformation“ 2017 in Wittenberg einen 30 Meter hohen Turm. Die kleinste Bibel dagegen ist kaum zu sehen: In ein Kreuz, das an einer Kette getragen werden kann, ist ein winziger Chip eingearbeitet. 4 x 4 Millimeter reichen in diesem Fall aus, um das gesamte Alte und Neue Testament in Nano-Schrift stets bei sich zu tragen.

Ziegeleimuseum

Untere Buchstraße 22a in Jockgrim. Geöffnet Mi und Sa von 14 bis 17 Uhr sowie So von 10 bis 17 Uhr. Der Eintritt kostet drei Euro, Kinder unter 14 Jahre sowie Schulklassen sind frei. Eine Saisonkarte kostet 37 Euro. Führungen sind nach Anmeldung möglich. Mehr Informationen im Internet oder unter Telefon 07271 52895.

Puppenstubenmuseum

Rosenweg 3 in Jakobsweiler. Geöffnet von April bis November, So von 14 bis 17 Uhr. In den Wintermonaten sowie an Wochentagen sind Besuche nach Vereinbarung möglich. Der Eintritt kostet zwei Euro, Kinder ab 8 Jahre zahlen einen Euro.

Pfälzisches Erlebnis-Bibelmuseum

Stiftstraße 23 in Neustadt an der Weinstraße Für Einzelbesucher Di und Do (außer an Feiertagen) von 8.30 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen und Schulklassen können unter Telefon 06321 84772 auch an anderen Tagen Führungen vereinbaren. Der Eintritt kostet 4,50 Euro für Erwachsene und 2,50 Euro für Kinder und Jugendliche. Mitglieder des Pfälzischen Bibelvereins zahlen 3 bzw. 2 Euro.

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Veranstaltungs­tipps

Tipps für Genuss-Events in der Pfalz: Das VielPfalz-Team recherchiert für Sie empfehlenswerte Veranstaltungen in der Pfalz, die vielfältigen Genuss versprechen – von der Weinprobe über die Städteführung bis zum Fest, Markt oder Konzert. Welches Event Sie auch immer anspricht, wir wünschen Ihnen viel Spaß dabei!

Was wissen

Wie erkennt man guten Wein?

In unserer Rubrik zum Thema Weinwissen erläutert Rudolf Litty dieses Mal, worauf man bei der Suche nach einem guten Wein achten sollte.

Foto: Deutsches Weininstitut

Wer kennt das nicht? Man greift beim Einkauf zu einem Produkt und ist unsicher, ob es denn auch die erhoffte Qualität hat. Ein Richtwert könnte dabei der Preis sein. Das gilt auch bei der Suche nach einem guten Wein – wenn man sich nicht nur vom möglicherweise optisch auffälligen Etikett beeinflussen lassen will. Beim Preis für eine Flasche Wein spielen mehrere Faktoren eine Rolle: die anfallenden Fixkosten, Investitions-, Lohn- und Maschinenkosten, die Flasche, der Verschluss, die Kapsel und das Etikett. Nach Berechnungen des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz in Neustadt, liegen die Ausgaben unter Berücksichtigung aller anfallenden Abschreibungen und Erzeugungskosten sowie der Struktur des einzelnen Betriebes für die Flasche Wein bei etwa fünf bis sechs Euro.

Auszeichnungen als Qualitätskriterium

Ist nun ein teurer Wein besser oder intensiver als ein preiswerter? Ein Qualitätskriterium beim Einkauf sind auch mögliche Auszeichnungen auf einer Flasche, wie etwa bei Weinen, die von der Landwirtschaftskammer mit einer bronzenen, silbernen oder goldenen Medaille ausgezeichnet wurden.

“Handschrift” des Winzers wichtig

Wichtig mit Blick auf das Gesamtgeschmacksbild sind zudem der Ausbaustil und die „Handschrift“ des Winzers. Und die sind von Weingut zu Weingut unterschiedlich. So ist etwa das Aroma beim Sauvignon Blanc bei dem einen Winzer mehr durch die grüne Paprika-Note geprägt. Bei dem anderen Winzer schmeckt der Wein dagegen mehr nach grünem Spargel oder grünen Bohnen – also aromatisch dezenter. Dazu gehört auch die Restsüße eines Weines oder die Vorliebe für bestimmte Rebsorten mit ihren unterschiedlichen Aromen. Der eine mag mehr halbtrockene, liebliche, bukettreiche Weinsorten wie beispielsweise Sauvignon Blanc, Scheurebe oder Gewürztraminer. Der andere bevorzugt eher Rebsorten wie Riesling, Müller-Thurgau oder Chardonnay. „Modern“-trockene Weine bewegen sich, je nach Säure, bei einer Restsüße von etwa bei vier bis sieben Gramm Zucker. Weißwein schmeckt im Allgemeinen fruchtiger und ist durch die Säure geprägt. Rotweine sind im Geschmack runder. Sie können angenehm beerig schmecken, aber auch durch die Tannine geprägt sein und dadurch einen etwas kantigeren Abgang haben.

Individuelles Geschmacksempfinden

Dies ist eine grobe Unterteilung und Orientierung, was die (Vor-)Weinauswahl erleichtert. Kauft man Wein ein, sollte man ihn nach Möglichkeit zuvor probieren können. Leider ist dies aber nicht immer möglich. Wichtig ist auch zu wissen, dass jeder Mensch sein eigenes, individuelles Geschmacksempfinden hat. Sprich: Was dem einen besonders gut schmeckt, muss nicht zwingend auch dem anderen munden.

Hintergrundwissen kann hilfreich sein


Ist ein Wein also gut, weil er mir schmeckt? Oder ist er von gehobener Qualität, wenn er entsprechend teuer ist? Bei der Suche nach Antworten auf diese Fragen kann auch ein gewisses Hintergrundwissen hilfreich sein. Aufschlussreich wäre etwa, verschiedene Weine auf Messen, bei den Weingütern, Winzergenossenschaften oder in Vinotheken zu probieren und dabei die Unterschiede kennenzulernen. Oder man besucht einmal ein Weinseminar, um unter Anleitung Wein fachlich richtig zu verkosten. Schließlich nimmt der eher ungeübte Konsument die Vielzahl der Aromen und die geschmackliche Tiefe eines Weines oft nur unvollständig wahr. Letztlich ist derjenige ein guter Wein, der dem Konsumenten am besten schmeckt – auch wenn er nicht der teuerste ist.

Der Experte

Rudolf Litty ist ehemaliger Mitarbeiter der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz. Beim Weinbauamt Neustadt/Weinstraße war er für die amtliche Qualitätsweinprüfung verantwortlich. Litty, geboren 1951, lebt in Klingenmünster und organisiert Weinseminare.

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Weinstöberei

Das Farbenspiel der Weine

Grauburgunder zählt zu den beliebtesten weißen Rebsorten in Deutschland. Im südpfälzischen Schweigen vinifiziert das Weingut Friedrich Becker Grauburgunder, dessen Farbe an einen provenzalischen Rosé erinnert.

Foto: Gabriella Clare Marino/Unsplash

Mit steigenden Temperaturen kommt wieder mehr Farbe in unseren Alltag – die Pflanzenwelt bietet uns eine breite Palette, was jede Menge Lebensfreunde mit sich bringt. Mit den warmen Kalendermonaten ändert sich auch die Wahl unserer Weine. Nun finden wieder spritzige Weißweine und schillernde Rosés ihren Weg in die Weingläser. Gerade Rosé liegt derzeit absolut im Trend. Die typischen Pfälzer Rosés werden aus Spätburgunder, Dornfelder oder Portugieser gemacht. Doch auch Grauburgunder kann deutliche rosafarbene Reflexe im Glas zeigen!

Wein mit einem rosa Schimmer

Diese Eigenschaft bringt der Graue Burgunder Kalkmergel vom Weingut Friedrich Becker mit sich. Nun ist Grauburgunder eine Weißweinsorte – woher kommt also die Farbe? Die ausgereiften Grauburgunderbeeren besitzen eine rote Beerenhaut. Sie weist nicht so viele Anthocyane (Farbstoffe) wie der kleine Bruder Spätburgunder auf, doch die Menge ist ausreichend, um dem Wein einen rosa Schimmer zu verleihen.

Winzer Friedrich Wilhelm Becker
Friedrich Wilhelm Becker.
Foto: Weingut Friedrich Becker/Christopher Nitschke

Angenehme Frische und Struktur

Das Team von Friedrich Becker hat die Trauben von Hand selektiert, entrappt und ihnen anschließend eine Standzeit über drei Tage auf der Maische gegönnt, bevor der Most abgepresst wurde. Die gezielt lange Mazeration sorgt für eine schöne rosa Farbe im Wein. Nach der Gärung ruhte der Graue Burgunder über neun Monate in großen und kleinen Eichenholzfässern. Der 2022er Grauer Burgunder Kalkmergel zeigt sein Farbspiel im Glas sehr deutlich. Die Aromen in der Nase werden von hellroten Gartenfrüchten sowie Granatapfel dominiert und von einer zarten Eichenholznote begleitet. Auf der Zunge ist der Wein saftig mit einer angenehmen Frische und Struktur. Ein Grauburgunder, der zu allen Jahreszeiten seinen Platz auf den Esszimmertisch findet.

Passion und Fingerspitzengefühl

Das VDP-Weingut Friedrich Becker zählt seit vielen Jahren zur deutschen Top Wein-League. Mit Know-how, Passion und Fingerspitzengefühl schafft Familie Becker es jedes Jahr aufs Neue, charakterstarke und präzise Weine hervorzubringen.

2022 Grauer Burgunder “Kalkmergel” | 0,75 Liter | 17,90 Euro | Weingut Friedrich Becker, Schweigen-Rechtenbach | friedrichbecker.de

Inga Klohr. Foto: Adlumina/Ralf Ziegler

Die VielPfalz-Weinstöberei

Besondere Cuvées oder ein spontan vergorener Literriesling – unter Pfälzer Weinen gibt es immer Spannendes zu entdecken. Weinstöberei heißt die Rubrik, in der Inga Klohr (geb. Storck) empfehlenswerte Weine vorstellt. Die Pfälzische Weinkönigin 2017/2018 und Deutsche Weinprinzessin 2018/2019 macht sich für VielPfalz auf die Suche nach besonderen Tropfen. Sie absolvierte den Dualen Studiengang Weinbau und Önologie am Weincampus in Neustadt an der Weinstraße und arbeitet als Winzerin.

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Pfälzer Szenen von Karin Mihm

Än Aagebligg: Blick auf Dernbach

Den Zauber der Natur genießen – das lässt es sich in der Pfalz vortrefflich. Gerade in den Sommermonaten lohnt es sich, die Wanderstiefel zu schnüren, den Rucksack zu packen und sich auf Entdeckungstour zu begeben. Schöne Ecken hat die Region schließlich zur Genüge zu bieten – etwa den Blick auf Dernbach, wie ihn Illustratorin Karin Mihm in Än Aaagebligg festgehalten hat.

Die Künstlerin

Foto: Privat

Karin Mihm, Jahrgang 1966, hat in Gießen und Marburg studiert. Einige Jahre lebte sie in Berlin, bevor es sie 2003 nach Düsseldorf zog, wo sie bis heute lebt. Ihr künstlerisches Werk reicht von Comics für Kinder und Erwachsene über politische Karikaturen, Illustrationen und Zeichnungen bis hin zur Malerei. Sie werden mit lockerem Tuschestrich und Aquarellfarben angefertigt. Karin Mihms Ziel: typische Orte zeichnen und dabei eine liebenswerte und humorvolle Perspektive einnehmen. In der Pfalz hat sie dazu eine große Auswahl.

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Pfälzer Bärlauch

Auf Schnupperkurs im Frühlingswald

Grün, aromatisch duftend und gesund: Im Frühjahr ist Bärlauch in der Pfalz ein aufstrebender Star am Waldboden. Die Nachfrage nach dem wilden Knoblauch steigt – nicht nur bei Privatsammlern. Betrachtungen rund um einen Frühblüher mit perfektem Timing.

Blühender Bärlauch
Foto: Norman Krauß

Je nach Witterung lässt Bärlauch schon kurz vor Frühlingsbeginn die ersten zarten Blätter aus dem Boden schießen. Im April steht er voll im Saft, im Mai präsentiert er seine weißen Blüten. Bärlauch – mit Knoblauch, Küchenzwiebel, Schnittlauch und Gemüselauch eng verwandt – ist ein sogenannter Frühblüher oder Geophyt. Damit hat er das perfekte Timing für die Erhaltung seiner Art gefunden. Sobald die ersten wärmenden Sonnenstrahlen den Waldboden kitzeln, wird er aktiv, lange bevor die Bäume austreiben. Wenn sich im Mai das Blätterdach im Wald schließt und nur noch wenig Licht auf den Boden fällt, hat er bereits die meiste Arbeit getan und ausreichend Nährstoffe produziert. Die lagert er in den im Boden liegenden Zwiebeln ein. So halten die Pflanzen problemlos bis zum nächsten Frühjahr durch.

Teppichartige Ausbreitung

Was die Platzwahl betrifft, bevorzugt Bärlauch nährstoffreiche und gut wasserversorgte Böden. In der Pfalz bieten ihm vor allem die Auenwälder entlang des Rheingrabens oder Laubwälder, die auf Schwemmfächern – etwa der Queich – stehen, optimale Lebensräume (siehe auch Beitrag „Sonntagstour“ auf Seite 54). Ein Schwemmfächer besteht aus angespülten Sedimenten, die sich sammeln, wenn ein Fließgewässer sein Gefälle verändert und nicht mehr alles mitreißen kann. Rundum behaglich fühlt sich Bärlauch insbesondere in Mulden und Schluchten, wo sich die Feuchtigkeit besonders lange halten kann. Dort breitet er sich gerne teppichartig aus. Während der Blütezeit bildet Bärlauch Samenkapseln, die ihm bei der Verbreitung helfen. Zum Beispiel, indem sie sich an vorbeistreifende Waldtiere heften.

Die Handstrauß-Regel

Spätestens seit die Gastronomie mit leckeren Bärlauch-Gerichten den wilden Knoblauch immer beliebter macht, weckt die grüne Pracht beim Waldspaziergang auch menschliche Sammelinstinkte. Was es dabei zu beachten gilt, weiß Förster Philipp Richter. Er ist als Mitarbeiter bei Landesforsten für das Revier Queichwaldungen-Herxheim zuständig. Dort gibt es große Bärlauch-Bestände. „Die Entnahme von Waldprodukten beziehungsweise sogenannten forstlichen Nebenerzeugnissen ist über das Landeswaldgesetz geregelt“, erläutert er und ergänzt: „Für Privatpersonen, die Bärlauch sammeln möchten, ist die Handstrauß-Regel verpflichtend. Sprich, eine Menge für den eigenen Bedarf darf gepflückt werden, aber nicht mehr. Das bezieht sich auf die oberirdischen Pflanzenbestandteile, Blätter und Blüten. Die Entnahme von kompletten Pflanzen ist aus Naturschutzgründen grundsätzlich verboten.“

Förster Philipp Richter
BERÄT Philipp Richter ist als Förster für das Revier Queichwaldungen-Herxheim zuständig. Dort gibt es große Bärlauch-Bestände. Foto: Landesforsten RLP.de

Riechzellen einschalten

Beim Sammeln sollten Laien sämtliche Sinne parat haben, um Bärlauch eindeutig zu erkennen. Verwechslungsgefahr besteht vor allem mit dem giftigen Maiglöckchen, das ebenfalls im Frühjahr wächst und ähnliche Standorte bevorzugt. Der Förster erklärt: „Bärlauch hat langstielige und weiche Blätter, die nach außen hängen und eine matte Unterseite aufweisen. Die Blätter des Maiglöckchens sind dagegen fester und haben eine glänzende Unterseite, die sich wachsartig anfühlt.“ Das beste Unterscheidungsmerkmal ist der scharfe Geruch, der von den Bärlauchbeständen im Wald aufsteigt. Maiglöckchen riechen nämlich nicht. Wer dennoch unsicher ist, kann vor Ort ein bis zwei Blätter des potenziellen Sammelguts zwischen den Fingern verreiben. Wenn es jetzt intensiv nach Knoblauch duftet, handelt es sich um Bärlauch. Dieser Trick funktioniert allerdings nur einmal, da sich der Duft an den Fingern nicht so leicht neutralisieren lässt.

Landwirt sucht Bärlauch

Die Nachfrage nach Bärlauch steigt. Das dokumentiert nicht zuletzt die Fülle an Bärlauch-Spezialitäten, die es mittlerweile zu kaufen gibt. Bärlauch-Pesto, Bärlauch-Käse, Bärlauch-Bratwurst oder Bärlauch-Nudeln – der Fantasie scheinen hier kaum Grenzen gesetzt zu sein. Doch wo kommt der ganze Rohstoff her? Auf Äckern wächst Bärlauch noch selten. Der Anbau ist sehr aufwändig. Daher sind die Bestände im Wald auch für den Handel verlockend. So kam es 2023 im Rohrbacher Gemeindewald zu einer Premiere. Ein landwirtschaftlicher Betrieb aus der Vorderpfalz fragte an, ob er dort Bärlauch in gewerblichen Mengen ernten könne. Landesforsten als Waldbewirtschafter waren von Anfang an beratend eingebunden in die Verhandlungen zwischen der Gemeinde Rohrbach als Waldbesitzer und dem Landwirt.

Nahaufnahme Bärlauchpflanze
VERLOCKEND Der Handel hat auch Interesse an den Beständen im Wald, weil der Anbau auf Ackerflächen zu aufwändig ist. Foto: Norman Krauß

Naturschutz im Blick

„Bei der Waldbewirtschaftung geht es nicht allein um Holz“, so Jakob Franz, kommissarischer Leiter des Forstamts Haardt in Landau, zu dem das Revier gehört. Man kümmere sich auch um forstliche Nebenerzeugnisse, die es im Wald gibt. Dazu zählten der Bärlauch ebenso wie Weihnachtsbäume, Schmuckreisig oder Saatgut. „Im engen Austausch mit der Gemeinde haben wir geholfen, die gewerbliche Entnahme in die Wege zu leiten. Später waren wir bei der Ernte dabei, um sicherzustellen, dass alles vereinbarungsgemäß abläuft“, berichtet Franz.

ENGAGIERT Jakob Franz, kommissarischer Leiter des Forstamts Haardt in Landau, hat mitgeholfen gewerbliche Entnahme in die Wege zu leiten und diese zu überwachen. Foto: Landesforsten RLP.de

Besondere Herausforderung

Vereinbarung ist ein wichtiges Stichwort: Um alles auf rechtssichere Füße zu stellen, musste zuerst die Gemeinde Rohrbach der gewerblichen Entnahme des Bärlauchs in ihrem Wald offiziell zustimmen. Sie hat hierzu einen Gestattungsvertrag mit dem landwirtschaftlichen Betrieb abgeschlossen. Ebenso musste der interessierte Landwirt die Erlaubnis der oberen Naturschutzbehörde einholen, was eine besondere Herausforderung darstellte. Denn die angefragten Bärlauch-Flächen liegen in einem Flora-Fauna-Habitat (FFH), für das besondere Auflagen gelten. Dies erforderte eine FFH-Vorprüfung, bei der Experten bewerten, ob die Einwirkungen durch die geplante Entnahme und den Abtransport des Ernteguts mit dem Erhalt des Schutzstatus in Einklang stehen.

Eine „Win-Win-Win-Situation“

Letztlich war klar: Alles passt. Der Ernte im Wald stand formell nichts mehr im Weg. Schweres Gerät kam dabei natürlich nicht zum Einsatz. Die Mitarbeiter des landwirtschaftlichen Betriebs haben die Blätter des Bärlauchs in Handarbeit geerntet und auf den zulässigen Fahrwegen per Kleintransporter aus dem Wald gebracht. „Die Firma ist stark interessiert an einer kontinuierlichen Nutzung und damit an einem nachhaltigen Umgang mit dem Bärlauchbestand“, erklärt Franz, was das Vorhaben für Landesforsten und die Gemeinde besonders interessant gemacht hat. Franz weiter: „Dadurch profitieren wir alle von der gewerblichen Entnahme. Die Gemeinde erzielt zusätzliche Einnahmen, wir können ein weiteres Naturprodukt vermarkten und der Landwirt erhält Bärlauch in Bioqualität. Das ist quasi eine Win-Win-Win-Situation.“

PFLANZENTEPPICH In Mulden und Schluchten, wo sich Feuchtigkeit lange hält, breitet sich Bärlauch gerne aus. Foto: Norman Krauß

Zweite Ernte in diesem Frühjahr

Die Einnahmen, die aus dem Wald kamen, hat die Gemeinde Rohrbach zurück in den Wald investiert. Es wurden erste Teile eines Forstwegs ertüchtigt, der nicht mehr befahrbar gewesen war. So soll es auch weitergehen. „Ende Februar war ich mit einem Mitarbeiter des landwirtschaftlichen Betriebs wieder im Revier unterwegs“, sagt Revierleiter Richter. Zusammen habe man Flächen ausgewählt, die dieses Jahr für die Entnahme in Frage kommen. Ein wichtiges Kriterium sei dabei gewesen, dass die Pflanzen an den potenziellen Ernteplätzen einen gesunden Eindruck machen und in einer ausreichend großen Menge auf der Fläche vorhanden sind. „So stellen wir sicher, dass das Bärlauch-Vorkommen vor Ort durch die Ernte nicht merklich beeinträchtigt wird oder gar gänzlich verschwindet. Was uns überrascht hat: Aufgrund des warmen Winters waren die Pflanzen schon sehr aktiv und hatten vor Frühjahrsbeginn bereits reichlich Blätter ausgetrieben. Die Entnahme konnte so schon früh im März starten“, berichtet Richter.

GENUSSMENSCH Die Apothekerin Katja Friedrich kennt sich mit Wildkräutern und Heilpflanzen aus. Foto: Yasmin Mineo

Bärlauch in Eigenproduktion

Weil er schmeckt und zudem gut für die Gesundheit sei, hat auch Katja Friedrich Freude am Bärlauch. Die Apothekerin bringt viel Wissen um essbare Wildkräuter und Heilpflanzen mit. So hat sie sich ein zweites Betätigungsfeld erschlossen. Friedrich bietet Kräuterwanderungen an und vermittelt Kräuterheilkunde mit dem Ziel, Menschen zu Gesundheit, Lebensfreude und Vitalität zu verhelfen. Im heimischen Garten in Höheischweiler (Landkreis Südwestpfalz) hat sie den wilden Knoblauch im Frühjahr quasi griffbereit stehen. „Wenn er ein gutes, halbschattiges Plätzchen findet und ausreichend Kraft hat, vermehrt er sich sehr gut und verbreitet sich stark. Manchmal braucht er im Garten eine etwas längere Eingewöhnungszeit. Es kann daher sein, dass er erst im zweiten Jahr sichtbar austreibt“, sagt sie. Wenn er aber einmal loslege, dann so richtig. Gartenbesitzer müssen das mögen, denn Bärlauch hält sich dabei nicht an Platzeinteilungen. Die Pflanzen gibt es bei vielen Gärtnereien, Gartencentern und im Online-Gartenversand.

BLÜTENPRACHT Wärmende Sonnenstrahlen lassen den Bärlauch schnell aktiv werden. Foto: Norman Krauß

Rohstoff in der Küche

In die Küche bringt Bärlauch ordentlich Würze. „Prinzipiell lässt er sich überall dort verwenden, wo man sonst Knoblauch nimmt“, so Katja Friedrich, „der Geschmack ist ähnlich. Bärlauch ist allerdings besser verdaulich und der Geruch strömt nach dem Essen nicht so stark über die Haut aus.“ Die gesundheitsfördernde Wirkung sei identisch mit der von Knoblauch. Bärlauch wirke reinigend, entgiftend und durchblutungsfördernd und sei somit perfekt fürs Entschlacken im Frühjahr geeignet. „Beispielsweise kann er helfen, Ablagerungen, wie sie beim Verkalken der Arterien entstehen, aufzulösen und die Entfernung von Abfallstoffen aus dem Bindegewebe unterstützen. Dafür sorgen unter anderem die im Bärlauch enthaltenen Senföle, die ihm auch den scharfen Geruch verleihen“, so die Kräuterexpertin.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten

Die Bärlauch-Pflanzen – Blätter wie Blüten – sind komplett essbar und können viele Gerichte veredeln. „Wenn man mit ihm kocht, sollte man darauf achten, ihn möglichst spät dazu zu geben“, erklärt Friedrich. Ihr Tipp: „Wenn ich eine Kartoffelsuppe mache, kommt er erst dann gehackt dazu, wenn die Kartoffeln bereits weich und püriert sind. Bärlauch ist nämlich als Rohkost besonders effektiv in seiner Wirkung.“ Ebenso lässt sich der wilde Knoblauch als herzhafte Würze über Pizza streuen, in Lasagne-Soße mischen, in Quark einrühren oder als Zutat für Pesto verarbeiten. „Der Fantasie sind dabei keinerlei Grenzen gesetzt“, findet Apothekrin Friedrich, „ich gebe Bärlauch in kleineren Mengen sogar in einen Kräuter-Smoothie und mische dazu Ingwer und Zitrone als gegensätzliche Geschmackskomponenten.“

Essigsaure Knospen

Und wie verspeist Katja Friedrich Bärlauch am liebsten? „Ich liebe Löwenzahnsalat mit Bärlauch“, schwärmt sie. Ihre Empfehlung: „Dazu passt ein Dressing aus gekochten und pürierten Kartoffeln mit Gemüsebrühe, Balsamico-Essig, Öl, Senf und Kristallsalz. Alternativ harmoniert auch ein fruchtig-süßes Dressing gut, etwa mit Mango.“ Die Knospen vom wilden Knoblauch lassen sich auch einlegen, wie man es von den Blüten des Kapern-Strauchs kennt. Wie einfach sich diese Delikatesse herstellen lässt, ist im Rezept unten nachzulesen. „Natürlich schmecken die eingelegten Bärlauch-Knospen anders als Kapern, die typische Knoblauch-Note bleibt erhalten“, betont Friedrich. In kleine Schraubgläschen verpackt, seien sie auch ein schönes Mitbringsel.

EINFACH LECKER Bärlauch-Kapern aus Blütenknospen. Foto: Julia Reichelt

Zutaten/Material

Bärlauch-Knospen (vollständig geschlossen)
Salz, idealerweise Kristallsalz-Stücke
heller Balsamico oder Weinessig
Schraubgläser

Anleitung

Zunächst die Salzsole herstellen. Kristallsalz ist hierfür besonders wertvoll, da es viele Mineralstoffe und Spurenelemente enthält. Einfach einige Stücke in Wasser legen und ein paar Tag warten.
Dann ist eine ausreichend gesättigte Lösung entstanden. Die verbliebenen Salzstücke entnehmen.

Ist die Salzsole fertig, die Bärlauch-Knospen waschen, trocken tupfen und die sterilisierten Schraubgläser locker damit befüllen.

Salzsole mit dem Essig mischen – ein Teil Salz, neun Teile Essig. Die Flüssigkeit in die Gläser füllen und diese fest verschließen.

Ein Rezept von Katja Friedrich

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Pfälzer Perspektiven

Die Magie des Irgendwo

Betrachtungen von Janina Huber rund um die Frage, was einen guten Wein ausmacht – jenseits von allgemeinen Geschmacksprofilen und spröden Tabellen. Vielmehr geht es um die „Somewhereness“, die schmeckbare Herkunft.

Foto: DWI

Was ist für Sie ein richtig guter Wein? Eine Frage, die in der Pfalz bestimmt häufig und heiß diskutiert wird. Die Antworten fallen vielfältig aus – und das dürfen sie auch! Denn das vorab: Gut ist doch am Ende, was einem selbst am besten schmeckt. Hört man sich in Fachkreisen um, gibt es da allerlei Ansätze, die Qualität objektiv zu bestimmen. Trainierte Gaumen arbeiten sich durch Tabellen mit Attributen und errechnen Zahlen, die zu einem Qualitätsurteil führen. Das ist hilfreich, ein gutes Kräftemessen, aber am Ende auch manchmal etwas spröde.

Wein schmeckt nach einem “Irgendwo”

Höre ich abseits der Zahlen zu, was unter Profis gerne als Qualitätsmerkmal genannt wird, ist mir schon oft ein Begriff aus dem Englischen ins Ohr gekommen: „Somewhereness“. Das müsse ein Wein haben! Gemeint ist, grob übersetzt, dass der Wein nach einem „Irgendwo“ schmeckt. Und eben nicht nach einem „Nirgendwo“. Ein guter Wein vermittelt den Eindruck, dank seiner Herkunft so zu sein, wie er ist.

Mich gibt’s nur einmal

Dabei muss das nicht unbedingt der Lagenwein für den großen Geldbeutel sein – auch ein Wein im Einstiegsbereich kann mir sagen: Hey, ich bin ein Pfälzer! Und selbst wenn wir mal nicht wissen, woher ein Wein kommt – Stichwort Blindprobe – zeigt er doch seine „Somewhereness“. Er fühlt sich individuell, charakterstark und authentisch an. Er sagt: Mich gibt’s nur einmal! Ich gebe zu, etwas schwer in Worte zu fassen ist dieses Konzept schon. Und doch steckt für mich dahinter viel von der Magie, die einen herausragenden Wein ausmacht.

Etwas Unkopierbares erleben

Nun geht es hier um Genuss im Allgemeinen – wie steht es da mit der „Somewhereness“? Ich würde sagen: Genau das ist es, was wir immer wieder suchen! Vielleicht geht es hier etwas weniger um den Herkunftsort. Wir wollen das Gefühl haben, dass jemand eine Vision hat. Zum Beispiel ein Koch, der seine Zutaten sorgsam auswählt, dabei gerne regional einkauft und mit seiner Küche seine Persönlichkeit transportiert. Dazu kommt ein Serviceteam, das gemeinsam ein Genusskonzept vermittelt. Im Zusammenspiel wird so aus einem Restaurant ein charaktervolles „Irgendwo“ statt eines austauschbaren „Nirgendwo“. Gleiches gilt für allerlei Genuss-Erlebnisse: Ein Besuch im Spa, eine Waldwanderung, eine Stadtführung, eine Reise und dergleichen. Erst in dem Moment, in dem wir fühlen, dass wir hier etwas Unkopierbares erleben, fängt authentischer Genuss an. Genau wie bei einem Wein, der uns spüren lässt, dass er unter einzigartigen Gegebenheiten entstanden ist. Also: Wer will schon „nirgendwo“? Erst mit einem spürbaren „Irgendwo“ ist es wirklich Genuss!

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Die Autorin

Janina Huber, 1989 in Bad Dürkheim geboren, hat Geschichte, Latein und Philosophie studiert. Ihre Leidenschaft für Wein machte die pfälzische Weinkönigin 2013/2014 und Deutsche Weinkönigin 2014/2015 längst zum Beruf. 2018 startete sie als selbstständige Weinfachfrau mit den Schwerpunkten Moderation und Kommunikation. Weinkurse und Workshops für Profis und Liebhaber bei der Weinschule „Grape skills“ in Heidelberg sind jetzt ihre Hauptbeschäftigung.

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Die Pfalz in Worten

Eine Region voller Geschichten

Die Pfalz ist unbeschreiblich schön. Das stimmt nicht ganz. Es gibt Menschen, die treffliche Worte finden, um die Region auf den Punkt genau zu beschreiben. Wir begegnen der Pfalz in Büchern auf eine neue und doch vertraute Weise. Mal ist sie Hauptfigur und die Texte sind Spiegel ihrer Zeit. Mal ist sie Schauplatz fantastischer Handlungen. Mal ist sie Inspiration oder Begegnungsort für Literatur, Malerei und Grafik. Sie ist auf jeden Fall eine literarische Reise wert.

ROMANTISCH Bilder und Worte sind Spiegel ihrer Zeit. Die Schäferszene am Fuße des Trifels ist eine der Illustrationen aus „Die romantische und malerische Pfalz“ von Franz Weiß, die den Reiseführer so einzigartig machen. Der Landschaftsmaler Leopold Rottmann fertigte das Aquarell um 1839 an. Repro: Gerhard Hofmann

Wir steigen hinab. Mit jeder Treppenstufe wird es kühler. Die Härchen auf meinen Unterarmen stellen sich. Mit der Temperatur verändert sich die Lichtfarbe. Kaltweiß strahlen die Wände, die Decke, die Regale. Mein Stift kratzt steif über das Papier. Versucht, Worte und Gedanken zu fassen. Irgendwo in diesem Labyrinth klackert ein Rollwagen. Wir biegen rechts ab, links, noch zwei Mal rechts. Blanke Regalfronten ziehen vorbei wie nackte Hochhäuserfassaden. Die weiß-lackierte Stahlbetontür steht offen. Die Luft ist rein. Wir ducken uns, gehen durch den engen Zwischenraum. Achtung, Stolperfalle! Ein Schritt noch und – ich erstarre.

Verborgen im Tresorraum

„Hier bekomme ich sie alle“, sagt Claudia Germann, Diplom-Bibliothekarin und Leiterin der Pfalzbibliothek in Kaiserslautern, mit einem schelmischen Gesichtsausdruck. Wir stehen im Tresorraum des ehemaligen Bankgebäudes, in dem die Pfalzbibliothek untergebracht ist. Mit subtiler Hartnäckigkeit hat die Bibliotheksleiterin darauf bestanden, mich hierher in den Keller zuführen. Ich bin ihr dafür dankbar. Denn wo einst Gold und Silber, Geld und Urkunden sicher verwahrt lagen, ruhen heute literarische und künstlerische Schätze der Pfalz. Verborgen im Dunkeln überdauern sie die Zeiten, die über ihnen hinwegrasen. Eine Bibel aus dem 16. Jahrhundert, gute 40 Zentimeter lang und 20 Zentimeter dick, mit reichverziertem, schwerem Ledereinband ist in der Mitte des Tresorraums platziert. Weiße Stoffhandschuhe liegen daneben. In den Regalen schlummern rund 200 historische Landkarten der Pfalz sowie eine Komplettausgabe der von Matthäus Merian angefertigten Pfalzstiche aus dem Jahr 1645.

KELLERSCHÄTZE Im Tresorraum bewahrt die Pfalzbibliothek literarisch und künstlerisch wertvolle Werke auf. Foto: Pfalzbibliothek

Die Macht des Wortes

Kein Wunder, dass Claudia Germann spätestens hier die Aufmerksamkeit aller ihrer Besucherinnen und Besucher hat, die sie durch die Pfalzbibliothek führt. Der Tresorraum macht zum einen nicht nur bei Schulklassen und Studierenden Eindruck. An diesem Ort spürt man die Wärme und die Macht des geschriebenen Wortes. Ich lade Sie ein, hier im Untergrund Kaiserslauterns mit mir die literarische Reise durch die Pfalz zu beginnen. Wir werden erleben, wie das eine das andere bedingt, die Pfalz die Literatur und die Literatur die Pfalz. Auf geht’s! Zurück durch die Gänge und Flure des Kellers, die Treppe rauf, am Tresen vorbei und Platz nehmen in der Ruhe des Lesesaals.

Im Lesesaal der Pfalzbibliothek

Leiterin der Pfalzbibliothek Claudia Germann. Foto: Privat

„Was Sie schon immer über die Pfalz wissen wollten, finden Sie bei uns“, heißt der Slogan der Pfalzbibliothek. Mehr als 100.000 Medien überwiegend über die Pfalz oder von pfälzischen Autorinnen und Autoren geschrieben umfasst die Sammlung. Wahnsinn! Der Großteil davon befindet sich im unterirdischen Magazin. Die gängigsten und aktuellsten Titel sind im Lesesaal frei zugänglich und nach verschiedenen Themen sortiert, zum Beispiel „Sellemols“ (Geschichte), „Pälzer Leit“ (Volkskunde) oder „Ur-Bagaasch“ (Genealogie). Die meisten Beschriftungen sind zweisprachig. „Als regionale Spezialbibliothek des Bezirksverbandes Pfalz hat die Einrichtung eine kleinere Zielgruppe als beispielsweise Stadtbibliotheken“, sagt Claudia Germann. Es seien oft Heimat- oder Familienforschende älter als 50 Jahre, die Zeit haben das Angebot zur Recherche zu nutzen. In Büchern aus dem Bestand vor Ort zu schmökern oder sie auszuleihen, ist nach vorheriger Anmeldung kostenlos. „Nur für die Fernleihe erheben wir eine geringe Gebühr. Die Fernleihe wird von allen Altersgruppen genutzt. Studierende schätzen das ruhige Ambiente und kommen gerne zum Lernen oder für Gruppenarbeiten hierher.“

Hungrig auf Bücher

Sie kennen sicher das Gefühl, wenn Sie hungrig durch den Supermarkt gehen. Auf einmal sieht jedes Produkt unglaublich lecker aus und Sie könnten einfach alles in den Einkaufswagen werfen. So ergeht es mir zwischen all den Büchern. Hier mal die Nase reinstecken, dort den Einband befummeln, oh, „Hexenverfolgung“ – da steckt bestimmt eine spannende Idee für eine Geschichte drin… Professionelle Selbstbeherrschung und der Druck, dass das Parkticket bald abläuft, lassen mich nicht heimlich zwischen den Regalen verloren gehen. „Bibliotheken waren früher der Ort, an dem ich Informationen erhalten habe. Heute bekomme ich viele davon schneller und unmittelbarer. Dennoch ist in vielen Fällen eine Buchrecherche immer noch unerlässlich, auch können beispielsweise historische Zeitungen gute Quellen sein.

GESCHMACKSSACHE Heute erscheinen Reiseführer mit unterschiedlichen Schwerpunkten – für jedes Hobby der passende. Foto: Kathrin Engeroff

Bibliotheken prägen Orte

Auf unserer pfälzischen Literaturreise steht die Pfalzbibliothek stellvertretend für die vielen großen und kleinen Bibliotheken und Büchereien in der Pfalz. Sie sind Orte der Begegnung mit der Geschichtenwelt wie auch mit anderen Buchfreundinnen und -freunden. Sie sind fixe Literaturpunkte und prägen Teil des öffentlichen Lebens jeder größeren Gemeinde. Halten wir fest: Literatur prägt also durch Bibliotheken das Erscheinungsbild der Pfalz sowie das kulturelle Leben. Auf den letzten Punkt kommen wir später noch genauer zu sprechen.

PFÄLZISCH Mundart wird in der Pfalzbibliothek liebevoll gepflegt und in den Mittelpunkt gestellt. Foto: Kathrin Engeroff

Events kommen gut an

Um noch mehr Menschen für die Pfalz und Bücher zu begeistern, setzt die Pfalzbibliothek seit einigen Jahren auf Einzelevents mit verschiedenen Schwerpunkten. Von der klassischen Krimilesung bis zur Ausstellung zu einem historischen Thema. Bis zum 27. April 2024 ist momentan die Schau zur Revolution 1848/49 „… überall weht die schwarz roth goldene Freiheitsfahne“ zu sehen. 14 Tafeln sowie Anschauungsmaterial aus dem Bestand der Pfalzbibliothek im Lesesaal beschreiben die Vorgeschichte, den Verlauf und die Folgen der Revolution auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz. Es sind die Schriftstücke aus jener Zeit, die den Aufbruch in die demokratische Moderne auf verschiedene Weise nachempfinden lassen.

Umzug in neue Räume

Apropos Aufbruch: Die Pfalzbibliothek zieht vermutlich noch in diesem Jahr in die Fischerstraße in Kaiserslautern um. Die neuen Räume bieten mehr Platz für Ausstellungen, Veranstaltungen und vor allem für Medien: „Wir möchten den strengen Pfalzbezug erweitern, damit wir noch mehr Menschen mit unserem Angebot ansprechen. Im Bestand sollen künftig auch Themen Platz finden, die über die Pfalz hinaus politisch und gesellschaftlich wichtig sind, wie zum Beispiel Nachhaltigkeit“, sagt Claudia Germann. Für die Diplom-Bibliothekarin ist es außerdem wichtig, etwa durch Gaming-Angebote auch Jugendlichen einen Raum in der Pfalzbibliothek zu bieten und – so der Wunsch – sie darüber für Bücher zu begeistern. Falls das nicht klappt, könnte sie die Kids wieder in den Keller führen. Nur ein Vorschlag am Rande, denn die Pfalzbibliothek zieht von einer ehemaligen Bank in die nächste – Tresorräume inbegriffen.

SCHÖN-SCHROFF Dem Romantiker Franz Weiß gefällt das wilde Land bei Falkenstein am Donnersberg besonders gut. Illustriert wurden seine Worte mit einem Aquarell des Landschaftsmalers Theodor Verhas. Repro: Gerhard Hofmann

Die romantische Pfalz

Doch wir gehen nun durch die hohe und nicht minder schwere Holztür nach draußen und schnuppern Stadtluft. Kaiserslautern liegt in der Pfalz so strategisch zentral, dass schon immer viel Durchgangsverkehr herrschte. Zum Leidwesen der Einwohner waren es viele Jahrhunderte lang vor allem Armeen, die hier zu diversen Kriegsschauplätzen durchzogen und die Stadt heimsuchten. Anfang des 19. Jahrhunderts kamen dann auch die ersten Touristen dazu, die neugierig auf ein Abenteuer in diesem unbekannten Westen waren. Wir unternehmen nun bei unserer literarischen Reise einen Abstecher in diese Zeit und machen Bekanntschaft mit drei Literaten, die auf unterschiedliche Weise die Pfalz und Kaiserslautern beschrieben:

Georg Friedrich Blaul, 1838

Franz Weiß, 1840

August Becker, 1858

Ein Bild, das bleibt

Hier haben wir es mit zwei Spätromantikern und einem Realismus-Vertreter zu tun. Wie erging es Ihnen beim Lesen der Zitate? Ich musste bei Blaul herzhaft lachen, von Weiß‘ Sprache war ich entzückt und Becker verblüffte mich mit feinstem Marketing für die gesamte Pfalz. Während Bibliotheken sichtbar die Pfälzer Landschaften prägen, erschaffen Autorinnen und Autoren durch ihre Texte ein noch viel weitreichenderes Bild der Region in unseren Köpfen. So halten sich manche romantischen Motive bis heute. Oder?

DETAILFÜLLE Das Aquarell von Richard Höfle zeigt das Leben rund um Burg und Ort Frankenstein im 19. Jahrhundert. Repro: Gerhard Hofmann

Das Interesse nimmt zu

Wieso wir mit dem Pfalzbild in der Romantik starten und nicht schon vorher? Wenn doch bereits große Namen der deutschen Dichtkunst wie Schiller, Goethe oder Hölderlin viel früher mehr oder weniger charmante Worte für die Pfalz fanden? Zum einen sprechen wir historisch gesehen von der „Pfalz“ erst seit dem Jahr 1837 als der „Rheinkreis“ bei der Bildung der bayerischen Regierungsbezirke umbenannt wurde. Mit dem Hambacher Fest 1832 und der Revolution 1848/49 fallen zum anderen zwei bedeutende Ereignisse in diese Zeit, die neben der Namensgebung prägend für die neue Pfälzer Identität waren. Drittens wuchs mit dem allgemeinen auch das künstlerische Interesse an der Pfalz, wodurch sie erstmals im besonderen Maße selbst Gegenstand in der Literatur wurde. Mit den Werken von Blaul, Weiß und Becker haben wir Texte vor uns, die von Pfälzern mit viel Herz für Pfälzer geschrieben wurden.

KUNSTDRUCK-EXPERTE Gerhard Hofmann in seinem Atelier in Neustadt an der Weinstraße. Foto: Michael Dostal

Ein Ort für Romantiker

„Nicht als sachlicher Dokumentarist, sondern als sinnlicher Beobachter durchwanderte Blaul seine Heimat“, wie der Klappentext von „Träume und Schäume vom Rhein“ verkündet. Lesende empfinden die subjektiven Schilderungen als sehr authentisch. Die Pfalz bietet alles, was das Romantiker-Herz damals (und heute) höherschlagen ließ: dunkle Wälder, alte Burgen, Ruinen, Höhlen, Moore und andere Naturlandschaften. Ehrlich und humorvoll bis in die Federspitze sind auch die Schilderungen, die bis heute wenig an Aktualität eingebüßt haben und nicht in das romantische Bild passen:

Georg Friedrich Blaul, 1838:

Stahlstiche bei Franz Weiß

„Blaul nimmt die Leute mit seiner Art richtig mit“, sagt der Neustadter Künstler Gerhard Hofmann. Seine größere Bewunderung gilt allerdings dem Werk „Die malerische und romantische Pfalz“ von Franz Weiß, an dem namhafte Künstler mitwirkten. Diese Pfalzdarstellung ist laut Hofmann deshalb so attraktiv, weil hier erstmals nicht nur Wörter, sondern auch Illustrationen die Fantasie anregten. Die erste Auflage des 1840 im Verlag von August Hermann Gottschick in Neustadt an der Haardt erschienenen Buches enthielt 24 Stahlstiche. In der zweiten Auflage waren es neben dem Titelbild schon 62 Stahlstiche und in der dritten kamen noch zwei weitere hinzu. „Die Bebilderung war damals technisch eine richtige Herausforderung und finanziell eine große Unternehmung für den Verleger, so etwas zu riskieren“, beschreibt Hofmann. „Deshalb wurden für das Buch vor der Produktion zunächst Subskribenten gesucht, um zu sehen, wie viel Interesse da ist.“ Der poesievolle Reiseführer traf den Nerv der Zeit. „Die Ausstattung des Buchs mit 24 anspruchsvollen Stahlstichen bot einen besonderen Reiz bei der Lektüre“, schreibt Hofmann im Katalog zur am Buchtitel orientierten Ausstellung „Die malerische und romantische Pfalz“ in der Villa Böhm.

Franz Weiß, 1840

Herausforderung: Buchproduktion

BUCHDRUCK Im 19. Jahrhundert war die Buchproduktion technisch und finanziell eine Herausforderung. Foto: Marco Djallo/Unsplash

Franz Weiß stimmt seine Leserschaft schon mit den ersten Zeilen in der typischen romantischen Manier auf die Beschreibung seines Wander- und Reiseführers ein. Das Buch ist in der digitalen Bibliothek des Münchner Digitalisierungszentrums frei zugänglich. Mit ein paar Klicks kann es heruntergeladen werden. Als ich mich in das Lesen der Kurrentschrift reingefuchst hatte, fand ich richtig Spaß an der schwülstigen Sprache des Autors. Eines hatte ich, als sogenannter Digital Native, dabei im Wortsinn nicht auf dem Schirm: wie viel Arbeit damals alle Beteiligten in die Buchproduktion steckten. Klar kann ich die Schreibstunden des Autors am ehesten nachempfinden, aber dass das Buch in mehreren Teilen ausgeliefert wurde und man erst zum Buchbinder ging, als es komplett war, ist weit weg vom heutigen Verlagswesen. „Es ist schwierig sich vorzustellen, wie mühsam es war, ein Buch herzustellen. Die Bebilderung war damals technisch eine richtige Herausforderung“, ist Künstler Gerhard Hofmann, der selbst eine Radier- und Druckwerkstatt betreibt, von den damaligen Tiefdruckverfahren des Stahlstiches begeistert.

Die Branche im Wandel

Beeindruckend ist auch die rasante Entwicklung der Branche. Während Blaul noch ganz ohne bildhafte Unterstützung die Pfalz nur in Worten zeichnete, kamen bei Weiß die hochwertig und minutiös gearbeiteten Stahlstiche zum Einsatz und August Beckers Werk „Die Pfalz und die Pfälzer“ wurde wenige Jahre später mit Holzstichen bebildert, da die „billiger zu drucken waren“, sagt Hofmann und ergänzt: „Sie weisen aber nicht die Qualität von Stahlstichen auf.“ Ganz deutlich erkennt man daran, dass Schreibende und Künstlerinnen und Künstler immer vom Geist ihrer Zeit geprägt sind – inhaltlich, technisch und wirtschaftlich. August Becker war sich dahingehend seiner Aufgabe als Autor bewusst:

August Becker, 1858

Fragen, die bleiben

Sie haben wahrscheinlich gemerkt, dass ich ganz verliebt in die Art und Weise bin, wie diese drei Autoren vor rund 200 Jahren die Pfalz beschrieben haben. Sicherlich auch, weil mir bei ihren Schilderungen so vieles Vertrautes begegnet. Auf meine Frage, ob die drei Literaten mit ihren Werken den Grundstein für das heutige Bild der Pfalz legten, gibt es keine eindeutige Antwort. Einen gewissen Beitrag haben sie dazu geleistet – ja. Aber wie so oft ist das Thema vielschichtiger. Bevor wir uns auf unserer Reise in der Vergangenheit und in den „alten“ Geschichten verlieren, springen wir wieder zurück in die Gegenwart und sehen Parallelen.

WISSENSSCHATZ Das Erzählen von Geschichten spielt eine entscheidende Rolle für den evolutionären Erfolg und die kulturellen Errungenschaften des Menschen. Foto: Pierre Bamin/Unsplash

Von der Pfälzer Muse geküsst

„Die vielfältigen Eindrücke in der Pfalz lösen sofort den Impuls aus, das Erlebte kreativ verarbeiten zu wollen. Die Begegnung mit der Pfälzer Landschaft macht dich nicht sprachlos, sondern im Gegenteil, es fällt dir leicht, Worte zu finden“, beschreibt Autor Michael Landgraf das Verhältnis Pfälzer Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu ihrer Heimat. „Natürlich spielt beim Schreiben das, was du kennst und deine Heimat immer mit hinein.“ Der evangelische Theologe und Leiter des Religionspädagogische Zentrums der Evangelischen Kirche der Pfalz ist Autor von 140 Büchern. Neben Sach-, Schul- und Kinderbüchern schreibt er vor allem über die Pfalz. Diesen April erscheint von Michael Landgraf im Dudenverlag der Sprachführer „Pfälzisch: Alla hopp un uffbasse“. Darin spürt er auch der Frage nach, ob die Pfalz der Ausgangspunkt des Deutschen ist. „Im 9. Jahrhundert übersetzte der Mönch Otfrid von Weißenburg erstmals Teile der Bibel ins Rheinfränkische und nannte in einer Verteidigungsrede seine Sprache ,lingua teodisca’, also Deutsch“, berichtet Michael Landgraf. Otfrid von Weißenburg als erster namentlich bekannter deutscher Dichter nehme daher eine Schlüsselrolle in der Entwicklung der frühen deutschen Literatur ein. Es wird vermutet, dass er aus der heutigen Südpfalz stammte und „er hat die Region auch beschrieben“.

Für jeden das passende Buch

Das Schreiben in einer gemeinsamen „Volkssprache“ ermöglicht es uns erst, Gedanken und Ideen festzuhalten, sie zu organisieren und mit anderen zu teilen. Das Geschriebene dient als Mittel zur Reflexion, zur Unterhaltung, zur Bildung und zur Dokumentation. Dafür wählen Autorinnen und Autoren bis heute unterschiedliche Genres und Darstellungsformen. Bei Michael Landgraf ist aktuell zum Beispiel der Reiseführer „Weinorte in der Pfalz“, der 2025 erscheint, in Arbeit. „Neustadt an der Weinstraße und seine Weindörfer. Der Reiseführer“, „Pfalz – Radeln für die Seele“ sowie „Glücksorte an der Deutschen Weinstraße. Fahr hin und werd‘ glücklich“ lauten die Titel seiner neuesten Bücher. All diese Reiseliteratur reiht sich in das Vermächtnis sämtlicher Veröffentlichungen seit Otfrid von Weißenburg in dem Punkt ein, dass auch dort die Schönheit der Pfalz belobigt wird. Die Leiterin der Pfalzbibliothek Claudia Germann macht bei modernen Werken jedoch folgenden Unterschied aus: „Heute werden Bücher und vor allem Reiseführer sehr zielgerichtet verfasst. Früher waren es eher subjektive, allgemeine Reisebeschreibungen, heute sind die Titel sehr speziell und es gibt für viele Bedürfnisse und Hobbys eigene Veröffentlichungen.“

Autor und Generalsekretär von PEN Deutschland Michael Landgraf. Foto: Foto: Juan Müller

Neuer Player: PEN Rhein-Neckar

Das Interesse an diesen regionalen Büchern für alle Fälle – von Reiseführern, über Krimis, Kochbücher und Romane – sei groß, bestätigen Germann und Landgraf. Die Pfalz ist dabei Hauptfigur, Schauplatz oder Inspirationsquelle. Und sie ist das Zuhause von vielen Autorinnen und Autoren. Kann man also von einer regen Literaturszene sprechen? „Rege auf jeden Fall. Die Literaturszene in der Pfalz ist recht groß und sehr engagiert“, sagt Bibliothekarin Germann. Michael Landgraf ergänzt: „Es ist etwas im Aufbruch. Wir haben vereinzelt sehr rege Gruppen, in Kirchheimbolanden oder Neustadt zum Beispiel. Es gibt in der Pfalz zwei klassische Player: den Literarischen Verein der Pfalz, ein Zusammenschluss von Literaturfreunden, auf der einen Seite und den Verband der deutschen Schriftsteller auf der anderen.“ Ganz neu ist seit einem Jahr die PEN-Regionalgruppe Rhein-Neckar. Das PEN-Zentrum Deutschland, die älteste Schriftstellervereinigung im Land, setzt sich für Literatur, Meinungsfreiheit und Völkerverständigung ein. PEN steht für Poets, Essayists, Novelists. „Um bei PEN aufgenommen zu werden, brauchst du bereits ein gewisses Standing als Schriftsteller sowie zwei Bürgen“, sagt Michael Landgraf, der seit 2018 Mitglied und seit zwei Jahren PEN-Generalsekretär ist. Ganz bewusst habe man bei der Regionalgruppe die Grenze nicht am Rhein gezogen, sondern die rechtsrheinische Kurpfalz dazu genommen. „Wir schätzen gerade diesen den Austausch, denn wir verstehen uns als eine pfälzische Kulturregion.“

POESIE ZUM PFLÜCKEN An verschiedenen Plätzen in Landau gibt es Gedichte und Kunst direkt zum Mitnehmen. Der rund 120 Mitglieder zählende Literarische Verein der Pfalz veröffentlicht jährlich drei Publikationen. Neben der Mitgliederzeitschrift sind es das Jahrbuch und der literarische Adventskalender. Foto: Literarischer Verein Pfalz/Peter Herzer

Der Literarische Verein der Pfalz

Feedback geben und nehmen ist dabei eine Kunst, die wie das Schreiben geübt sein will. Jeder, der einen literarischen Text verfasst oder ein Bild zeichnet, gibt in diesem Moment etwas sehr Persönliches von sich preis. Gefühle, Gedanken, Erfahrungen werden zu Wörtern und Farbe. Umso nervöser ist man vor einer Bewertung, wenn zum ersten Mal der Text oder das Bild von anderen Kunstschaffenden besprochen wird. „Sich diesem Austausch zu stellen, gehört zum kreativen Prozess dazu“, sagt Birgit Heid, erste Vorsitzende des Literarischen Vereins der Pfalz. Die Textbesprechung ist einer der Schwerpunkte des Vereins. Die Mitglieder treffen sich dafür regelmäßig, da „im persönlichen Miteinander sensibler auf die Autorinnen und Autoren eingegangen werden kann“. Die Landauerin Birgit Heid begann 2001 mit dem Schreiben und stieß 2013 zum Literarischen Verein. Er wurde 1878 als „Verein pfälzischer Schriftsteller, Künstler und Freunde von Kunst und Wissenschaft“ in Neustadt gegründet und blickt auf eine bewegte Geschichte zurück.

Wegzug von Literaten

Autorin und 1. Vorsitzende des literarischen Vereins der Pfalz. Foto: Privat

Heute gibt es Sektionen in Landau, Kaiserslautern und Speyer. „Wir nehmen jeden auf. Ganz gleich, auf welchem Niveau er schreibt. Der Verein möchte die vielseitige Literatur in der Pfalz fördern und pflegen“, betont Heid. „Je länger eine Gruppe besteht, desto besser wird das Niveau.“ In der Pfalz gebe es weitere Literatenzusammenschlüsse wie die Autorengruppe Zweibrücken oder die Literaturgruppe Wachtenburg-Donnersberg. Daneben gebe es eine ganze Reihe Pfälzer Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die im „Brot-und-Butter-Genre“, dem Krimi, zu Hause sind und leichte Unterhaltungsgeschichten schreiben. „Die Pfalz hatte historisch betrachtet nicht die Möglichkeit, eine richtige literarische Hochburg zu werden“, schildert Birgit Heid. „Das Leben hier war lange geprägt von Kriegen, Besatzungen, Armut und Auswanderungswellen. Das alles hat nicht zu ruhigeren Fahrwassern beigetragen, um sich eingehend und kreativ mit den Fragen des Lebens zu beschäftigen.“ Michael Landgraf ergänzt, dass die Pfalz bis heute einen „Provinzialität-Touch“ habe und viele Pfälzer Literaten daher in größere Städte, allen voran nach Berlin, wegziehen.

Lesen ist Genuss

Wenn man sich wie wir auf eine literarische Reise durch die Pfalz begibt, findet man dennoch für jeden Geschmack eine „Einkehrmöglichkeit“. Es gibt nicht allzu viele, aber es gibt sie, die literarischen Sternerestaurants. Die Wahl-Pfälzer Rafik Shami oder Guido Dickmann bereiten beispielsweise erstklassige Romane zu. Pfälzer Urgesteine wie Wolfgang Diehl, der 2023 den Lebenswerkpreis für Literatur des Bezirksverbands Pfalz erhielt, kocht mit viel Liebe und Scharfsinn überaus schmackhafte, regionale „Buchstabeneintöpfe“. Mundart-Autoren wie Norbert Schneider servieren „Typisch Pfalz“ und Krimi-Autoren wie Harald Schneider oder Gina Greifenstein reichen Pfälzer Häppchen für Zwischendurch. Es entsteht ein reichhaltiges Menü, das so variantenreich wie der Literatur-Begriff selbst ist.

Pfälzer Literaturfeste

Das Schreiben wird in der Pfalz gefördert und gefeiert: bei der literarischen Reihe „Speyer.Lit – Lesung. Performance. Livemusik“, bei den Landauer Büchereitagen, beim Literaturfestival in Kaiserslautern, bei den Donnersberger Literaturtagen oder beim Burgund-Literatur-Stipendium im Künstlerhaus Edenkoben. Seit 1978 gibt es außerdem in Deidesheim die Turmschreiberei. Die „Stiftung zur Förderung der Literatur in der Pfalz“ fördert Autorinnen und Autoren, die vier Wochen in Deidesheim wohnen, „pfalzbezogen“ arbeiten und das Ergebnis publizieren. Durch diese Events und Förderungen wird das Bild der Pfalz literarisch weiter fortgeschrieben. Sie sind eine Bereicherung für das kulturelle Leben der Region.

ORT DER BEGEGNUNG Das Freinsheimer Backhaus war beim literarischen Spaziergang 2023 in mehrfacher Hinsicht ein Ort, an dem sich Menschen und Geschichten begegneten. Foto: Kathrin Engeroff

Unterwegs in den Gassen

Die Tulpen blühen gelb und rosa im Retzerpark. Die Amsel singt vom Giebel laut ihr Lied, Meisen zwitschern dazwischen. Es ist ein milder Frühlingsabend im Mai – wie er im Buche steht. An der alten Sandsteinmauer im Schatten der austreibenden Bäume begegnen sich zwei Dutzend Literaturfreunde. Manche das erste Mal, manche sind seit Jahrzenten Weggefährten. Gemeinsam gehen sie nun durch die historischen Gassen Freinsheims. Die Orte, die sie besuchen werden, sind Ausgangspunkte für noch tiefer gehende Begegnungen. Die Literaturwissenschaftlerin und Philosophin Waltraud Amberger nimmt mich 2023 während der Freinsheimer Lese mit auf diesen literarischen Spaziergang.

Begegnungen in der Literatur

„In der Literatur eröffnet sich uns ein Geflecht an Begegnungen: mit uns selbst, mit den Figuren, mit den Autorinnen und Autoren, mit Orten und Zeiten. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geben sich dort die Hand“, sagt Waltraud Amberger. Um den Bogen zur realen Welt zu spannen, machen wir auf der Runde bewusst Station an Begegnungsorten wie der protestantischen Kirche, der ehemaligen Synagoge oder am Backhaus an der Stadtmauer. Wir suchen Antworten auf die Frage: Was macht eine Begegnung zu einer Begegnung? Wir treffen auf fiktive Romanfiguren, Geschichten, Poesie und Prosa aus zwei Jahrhunderten. Waltraud Amberger trägt Texte, Ideen und Gedanken vor oder lässt eigens eingespielte Aufnahmen für sie sprechen. Hilde Domin kommt zu Wort, Christa Wolf und Jean Paul Sartre, Stanislaw Lec, Herta Müller und natürlich Hermann Sinsheimer.

Weltoffenes Kulturprogramm

Durch den gebürtigen Freinsheimer Hermann Sinsheimer ist der Weinort in der literarischen Welt bekannt. Der Jurist, Journalist, Theaterkritiker und Schriftsteller musste wegen seiner jüdischen Herkunft aus Nazideutschland fliehen. „Zu seinen Ehren verleiht die Stadt Freinsheim seit 1983 den Hermann-Sinsheimer-Preis für Literatur und Publizistik und die gleichnamige-Plakette im Wechsel. Dieser Kontext spielt bei der literarischen Lese stets eine besondere Rolle“, heißt es im Veranstaltungskonzept. „Hermann Sinsheimers Werken und seine anspruchsvollen Texte prägen die Freinsheimer Lese noch immer“, sagt Mitorganisatorin Waltraud Amberger. Die Veranstaltungsreihe verbinde heute darüber hinaus Literatur mit Film, Bildender Kunst und Musik, sodass ein zeitgenössisches, fröhliches und weltoffenes Kulturprogramm entstehe. Passend zur Fortentwicklung der literarischen Landschaft (der Pfalz) lautet das diesjährige Motto der Literarischen Lese „Bewegungen“.

Warum lesen wir?

Immer wenn sich die Gruppe an jenem Abend im Mai wieder in Bewegung setzt und sich aufmacht zur nächsten unerwarteten Begegnung, fühle ich mich, als würde ich zum ersten Mal durch Freinsheim ziehen. Dabei ging ich die Straße in etlichen Mittagspausen oder bei sämtlichen Festen oft auf und ab. Doch nun sind sie eingebettet wie eine Brücke in verschiedene Gedankenwelten. Ich merke, wie viele der Teilnehmenden sich wie ich eine Zeitlang darin verlieren und die gehörten Worte nachklingen lassen. Waltraud Amberger stellt während des Spaziergangs auch die Frage: „Warum lesen wir?“ Eine Antwort darauf: „Wir suchen die Begegnung mit dem Unbekannten, mit den anderen. In Büchern begegnen wir uns an Orten, an denen wir nie waren. Literatur verbindet Orte mit Geschichten.“

Foto: Pricilla du Preez/Unsplash

In der Pfalz sein

In dieser Titelgeschichte sind Sie mir und meinen Gedanken an literarische Orte der Pfalz gefolgt, haben Pfälzer Autoren und ihr Bild der Pfalz aus dem 19. Jahrhundert kennengelernt, haben einen Eindruck von der zeitgenössischen Literaturlandschaft bekommen. Bei weitem haben wir nicht alle Ecken erkundet. Doch unsere literarische Reise muss an dieser Stelle nicht enden. Denn in der Welt der Bücher finden wir nicht nur Geschichten, sondern auch Erkenntnis, Inspiration, Trost und die Essenz dessen, was es bedeutet, Mensch – und in der Pfalz – zu sein.

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Veranstaltungs­tipps

Tipps für Genuss-Events in der Pfalz: Das VielPfalz-Team recherchiert für Sie empfehlenswerte Veranstaltungen in der Pfalz, die vielfältigen Genuss versprechen – von der Weinprobe über die Städteführung bis zum Fest, Markt oder Konzert. Welches Event Sie auch immer anspricht, wir wünschen Ihnen viel Spaß dabei!

Hirtenwege

Naturschützer auf vier Beinen

Eine einzigartige Kulturlandschaft erhalten. So lässt sich ein zentrales Ziel des Projektes „Neue Hirtenwege im Pfälzerwald“ kurz und knapp beschreiben. Bald beginnt die Umsetzungsphase. Eine zentrale Rolle spielen dabei „tierische Rasenmäher“, die gleichzeitig als „Samentaxis“ unterwegs sind.

Schafherde im Pfälzerwald
Foto: Norman Krauß

Wiesen und Weiden sind wertvolle Lebensräume. Hier gedeihen seltene Gräser, Kräuter oder Orchideen. Hier leben Bienen, Libellen, Schmetterlinge, Heuschrecken und Käfer in großer Zahl. Diese enorme Vielfalt ist jedoch bedroht, weil solche Orte verbuschen oder mit Wald überwachsen. Mit dem Projekt „Neue Hirtenwege im Pfälzerwald“ wird gegengesteuert (siehe auch unsere Titelgeschichte „Ein neuer Anfang am Ende des Weges“ in der Ausgabe 5/2019). Die Organisatoren des Projektes, dessen offizieller Start im April 2018 war, sind jetzt in den Startlöchern, um mit der Umsetzung zu beginnen.

Landschaft offenhalten

Ein Blick zurück: Um dem Pfälzerwald als besonderem Naturraum Schutz zukommen zu lassen, machte ihn die Unesco 1992 zum Biosphärenreservat. Im Pfälzerwald soll so eine nachhaltige Entwicklung vorbildlich verwirklicht werden. 1998 ist das in Schutz genommene Gebiet grenzüberschreitend ausgeweitet und so zum Biosphärenreservat Pfälzerwald-Nordvogesen geworden. Dessen Status wurde zuletzt 2022 geprüft, bestätigt und 2023 um weitere zehn Jahre verlängert. Eines der Ziele ist dabei die Offenhaltung der Landschaft. Träger der damit verbundenen Aktivitäten ist auf deutscher Seite der Bezirksverband Pfalz. Die Umsetzungsarbeiten organisiert ein Team in Lambrecht. Zu den wichtigsten Vorhaben gehört dabei das Projekt „Neue Hirtenwege im Pfälzerwald“.

AUF WANDERSCHAFT Christian Ruther ist regelmäßig mit seiner Herde im Pfälzerwald unterwegs. Foto: Biosphärenreservat Pfälzerwald-Nordvogesen

Biotope vernetzen

Mit dem Beginn der Umsetzungsphase soll es ab Frühsommer 2024 darum gehen, in einem 8200 Hektar großen Fördergebiet neue Offenlandbiotope freizulegen und miteinander zu vernetzen. Es geht konkret um die Weideflächen Dahn-Annweiler Felsenland, Dahner Felsenland, nördliche Oberhaardt und Neustädter Gebirgsrand, südliche Oberhaardt und Queichtal, Tal Pfälzerwald, Unterhaardt und Grünstadter Berg sowie um Gebiete im westlichen und südwestlichen Pfälzerwald. Verbuschte und zugewachsene Flächen sollen wieder zu dem werden, was sie einmal waren: Streuobstwiesen, Feuchtwiesen, Blumenwiesen und Auen mit großer Artenvielfalt.

Schäfer und Schafe als Helfer

Wichtige Partner und Akteure sind dabei Schäfer, die mit ihren Herden für eine großflächige Beweidung sorgen. Vorgesehen sind ergänzend auch extensive Beweidungen mit Rindern und Ziegen. Zu den Maßnahmen, die das Hirtenwege-Team plant, gehören das Sichern, der Wiederaufbau und die Freilegung von zugewachsenen Trockenmauern. Damit schützt und kreiert man Lebensräume für Farne, Zwergglockenblumen sowie Zaun- und Mauereidechsen. Projektleiter Helmut Schuler erklärt: „Als zuverlässige und verbindliche Handlungsorientierung haben wir einen ausführlichen Pflege- und Entwicklungsplan ausgearbeitet.“ Er enthalte zum Beispiel eine Biotoptypenkartierung mit Lebensräumen von Vögeln, Fledermäusen, Käfern, Libellen und anderen Insekten. Zudem gebe der Leitfaden vor, was, wo und wann unternommen werden soll. Dazu zählten, so Schuler weiter, etwa das Abholzen und Umwandeln von Vorwald in Grünland sowie „die Erstpflege von Brachen durch Entbuschen, Mulchen und Initialbeweidung“.

IN WARTESTELLUNG Sobald der Vorwald in Grünland umgewandelt ist, können die Schafe loslegen. Foto: Norman Krauß

Die Suche nach Beweidern

Bei den Vorbereitungsarbeiten waren viele Details zu beachten. So musste die Projektleitung beim Erwerb und der Anpachtung von circa 80 Einzelflächen mit vielen unterschiedlichen Eigentümern korrespondieren und entsprechende Einigungen erzielen. Zu den Herausforderungen zählte und zählt es auch, innerhalb des Fördergebietes geeignete Beweider zu finden. Schuler erläutert: „Es gibt Regionen, in denen sich mehrere Tierhalter, darunter auch Hobbytierhalter, mit ihren Weidetieren gerne aufhalten und sich zum Teil Konkurrenz machen, während andere Regionen unversorgt bleiben, weil niemand dorthin will. Da müssen wir durch entsprechende Angebote und Abstimmungsbemühungen ausgleichend steuern.“

Ausgedehnte Weidegebiete

Regelmäßig mit seiner Herde im Pfälzerwald unterwegs ist zum Beispiel Wanderschäfer Christian Ruther aus Iggelbach (Landkreis Bad Dürkheim). Wenn er sich mit rund 400 Tieren auf den Weg macht, ergibt dies beeindruckende Bilder. Auch Georg Dauber hat mit seinen 66 Jahren als Wanderschäfer viele Kilometer zu Fuß hinter sich gebracht. Er wohnt im Örtchen Nothweiler (Landkreis Südwestpfalz) an der deutsch-elsässischen Grenze. Bis ins Jahr 2008 half seine Frau Astrid bei der Schafhaltung mit. Nach schwerer Erkrankung ging das nicht mehr. Seither ist der Alltag Daubers von frühmorgens bis spätabends mit Arbeit gefüllt. Im Jahr 2004 lag das erste Weidegebiet auf der Strecke von Bruchweiler über Salzwoog, Münchweiler und weiter Richtung Rodalben, Clausen, Merzalben, Leimen bis ins Tal Richtung Johanniskreuz. Heute läuft er so weite Strecken nicht mehr.

SAMENTAXIS Auch Schafe von Georg Dauber tragen zur Artenvielfalt bei. Foto: Norman Krauß

Schafswolle als Samenspeicher

Dauber will am Projekt der neuen Hirtenwege teilnehmen und mit seinen Schafen für die Flächenfreihaltung von 50 Hektar sorgen. Als Kenner der Natur ist ihm der Nutzen dieses Hirtenweg-Projekts sofort präsent: „Die Schafe laufen durch hohes Gras und nehmen dabei Samen in die Wolle auf. So transportieren sie Millionen von Samen in andere Gebiete. Bei den kleinen Bäumen fressen Schafe die Triebe ab und verhindern so, dass Täler und Wiesen zuwachsen. Somit entsteht mehr Lebensraum für Insekten, und die locken wiederum Vögel an.“ Mittlerweile haben die meisten Schäfer ihr Revier aber nahe am eigenen Wohnort, um das harte Leben von Wanderschäfern zu meiden. Man merkt schnell, dass Wiesen und Täler das wirkliche Zuhause von Georg Dauber sind. Maßgaben, die er von den Behörden, Veterinärämtern und Förderstellen befolgen muss, beschimpft er vehement als „Überregulierung“. Und man will es ihm glauben. Auch der Preisverfall der Wolle macht ihm zu schaffen. Das Scheren der Schafe koste oft mehr, als die geschorene Wolle später einbringe. Dem Biosphärenreservat gegenüber äußert Georg Dauber Dank für Zuschüsse, die sein Leben mit den Schafen erleichtern würden.

Idylle als Trugschluss

Auch die junge Wanderschäferin Anne Mottl aus Rumbach (Landkreis Südwestpfalz) weiß, dass alle idyllischen Vorstellungen in Bezug auf ihren Beruf trügen. Als Kind einer Schäferin und eines Schäfers ist sie mit allen Licht- und Schattenseiten dieses Berufs vertraut. Er bedeute nicht, „dass man sich den ganzen Tag seines Lebens freut und auf den Schäferstock gelehnt den Tag genießt.“ Es gelte vielmehr, tagein und tagaus mit den Tieren zu sein – bei Wind, Regen und eisiger Kälte und bei brütender Hitze.“ Für den Winter müsse Heu und Getreide im Stall eingebracht werden. Auch beim Lammen und der frühen Aufzucht in den Winter- und Frühlingsmonaten seien Aufmerksamkeit und Hilfe des Schäfers und der Schäferin gefragt. Das Scheren im Frühjahr koste ebenfalls Zeit und Geld.

BEI DER ARBEIT Die Schafe von Anne Mottl im „Rasenmäher“-Einsatz. Foto: Norman Krauß

Bürokratie als Zeitfresser

Als besondere Bürde empfindet Anne Mottl aber vor allem die zunehmende Bürokratie. „Büroarbeiten mit Meldepflichten, Antragsformularen, erforderlichen Nachweisen und anderem Papierkram fressen einen viel zu großen Teil meiner Zeit“, kritisiert sie. So musste Mottl eine Herde von 500 Mutterschafen auf derzeit 250 Tiere reduzieren, wofür sie hauptsächlich den Mangel an zusammenhängender Weidefläche verantwortlich macht. Außerdem habe sie es mehrmals erlebt, dass „Hobbytierhalter einem die bitternötige Weidefläche, die man jahrelang bewirtschaftete, nicht gönnen.“ Deshalb verbindet sie mit dem Projekt „Neue Hirtenwege“ auch etwas Hoffnung auf eine positive Wende. Trotz aller Widrigkeiten liebt und lebt sie ihren Beruf: „Auch wenn mein Weg bisher recht steinig war, macht mir das Leben mit den Tieren Mut und Spaß. Ich erlebe eigentlich täglich sehr schöne Momente. Zum Beispiel dann, wenn ich bei Geburten behilflich sein kann, oder auch, wenn im Frühling die Tiere ins saftige Grün ausschwärmen und sichtbar zufrieden sind.“

Warten auf grünes Licht

Zu den Kernpunkten der nun anstehenden Umsetzungsphase des Projekts „Neue Hirtenwege im Pfälzerwald“ gehören die Sicherung der Maßnahmenflächen durch Ankauf oder Pacht sowie die Abstimmung und Entwicklung der Umsetzung mit allen Projektbeteiligten. Projektleiter Schuler freut sich über „die hohe Akzeptanz, die das Projekt bei allen Akteuren gewinnen konnte“. So sei die Vernetzung und Flächensicherung für eine anschließende Beweidung mit den betroffenen Kommunen einvernehmlich abgestimmt. Regelmäßige Besuche von Gruppen aus anderen Regionen Deutschlands würden deutlich zeigen, dass dem Projekt im Pfälzerwald eine Vorbildfunktion zukomme. Jetzt erwartet man freudig das grüne Licht für die Umsetzungsphase.

Termintipp: Schäferfest

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