Veranstaltungs­tipps

Tipps für Genuss-Events in der Pfalz: Das VielPfalz-Team recherchiert für Sie empfehlenswerte Veranstaltungen in der Pfalz, die vielfältigen Genuss versprechen – von der Weinprobe über die Städteführung bis zum Fest, Markt oder Konzert. Welches Event Sie auch immer anspricht, wir wünschen Ihnen viel Spaß dabei!

Geheimnisvolle Pfalz

Zwischen den Welten

Noch vor 200 Jahren war der pfälzische Alltag geprägt von Geschichten über dunkle Gestalten, magische Wesen, geheimnisvolle Mythen und Rituale, Glaube und Aberglaube. Einiges davon, wie der Belzenickel und die Elwedritsche, hat bis heute überdauert. Auf einer Reise, die uns mehrere tausend Jahre zurück in die Vergangenheit und auch über den Atlantik führt, versuchen wir, Licht ins Dunkel der Zeit zu bringen.

Foto: Volker Schledorn

Es ist kalt in Ramsen. Der Eiswoog liegt ruhig im Morgennebel. Nur die Bewegungen der kleinen Fische erzeugen Wellen, die langsam ans Ufer schwappen. Kein Vogel durchbricht mit seinem Gesang die Stille … Für unsere Vorfahren waren Seen, Teiche und Weiher magische Orte. Die Wasseroberfläche galt als Grenze zwischen der sinnlich erfahrbaren Welt und dem Reich des Übersinnlichen. Hier lauerten gefährliche Nixen und Wassermänner. Spiegel galten ebenso wie Spiegelungen als Tore in unheimliche Welten. „Wammer nachts in der Schpiggel guckt, guckt der Deifel raus“, sagt ein Sprichwort. Für die Menschen existierten damals sinnliche und übersinnliche Welt nebeneinander. Manchmal auch miteinander, denn sie konnten sich zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten vermischen. Dann konnte es gefährlich werden und die Menschen taten alles, um beide Welten wieder zu trennen und sich zu schützen.

MYSTERIÖS Schon immer haben Menschen versucht, Geistern ein Gesicht zu geben. Hier eine Skulptur am Waldgeisterpfad in Oberotterbach. Foto: Norman Krauß

Den Geheimnissen auf der Spur

Gehen wir also gemeinsam auf eine Reise. Wir werden herausfinden, was hinter dem „Bucklich Männlein“ steckt und dem „Butzemann“ – zwei Figuren, die uns in Kinderliedern heute noch begegnen. Wir besuchen die „Gleene Leit“ in den Ecken unserer Gärten und begeben uns auf die Spur des „Waldmopses“. Sie haben richtig gelesen: Der bekannte Sketch des Komikers Loriot aus den 1970er-Jahren hat eine Geschichte, die uns viele tausend Jahre in der Zeit zurückführt. Wir werden über Pentagramme und Hexagramme stolpern und lernen die für unsere Vorfahren wichtige „weiße Magie“ kennen, die in der Pfalz „Braucherei“ genannt wurde. In diesem Kontext klären wir – hoffentlich abschließend – die Frage, was Elwedritsche wirklich sind. Wir nähern uns nur vorsichtig der „Wilden Jagd“. Wir haben einiges vor. Kommen Sie mit!

Michael Werner. Foto: privat

Der Autor

Dr. Michael Werner, Sprachwissenschaftler und Publizist, ist seit mehr als 25 Jahren Herausgeber der pfälzisch-pennsylvanischen Zeitung „Hiwwe wie Driwwe“ und heute der Experte, wenn es um die Sprach- und Kulturbeziehungen zwischen diesen Regionen geht. Seine publizistische und wissenschaftliche Arbeit war Grundlage und Inspiration für die Kinodokumentation „Hiwwe wie Driwwe – Pfälzisch in Amerika“.

Wilde Nächte

Übergangsorte zwischen sinnlicher und übersinnlicher Welt gab es für unsere Vorfahren viele, zum Beispiel auch Brunnen. Denken wir an Goldmarie, die durch einen Brunnen hindurch zu Frau Holle gelangt. Es gab zudem besondere Zeiten, an denen die Tür direkt zur Hölle einen Spalt offenstand, wie zum Beispiel in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November. Die Kelten feierten – auch in der Pfalz – in dieser Nacht Samhain, das Fest der Toten, auf das wahrscheinlich das heutige Halloween zurückzuführen ist. Oder liegt der Ursprung doch woanders? Für die Germanen etwa war dieser Tag der Beginn des Winterhalbjahres und der dunklen, düsteren Periode. Ab dieser Nacht war auch die „Wilde Jagd“ unterwegs, die „arme Seelen“ aufspürte, die nicht freiwillig ins Jenseits gingen, und nach Menschen suchte, die das Gebot nicht einhielten, nachts im Haus zu bleiben. In Sturmnächten konnte man demnach hören, wie Wodan, dessen Sohn Thor und Frau Perchta mit Perchtas Haustier Habergeis und vielen anderen mit dem Wind über den Himmel zogen.

„Bees muss Bees verdreiwe“

Man vernahm Hundegebell, Pferdewiehern und Schlachtrufe von wilden Kriegern. Manchmal konnte es vorkommen, dass die Wilde Jagd und die toten Seelen, die dazu verdammt wurden, im Tross mitzuziehen, auch an Haustüren klopften. Um sich zu schützen, wurden mancherorts ausgehöhlte Rüben mit Gesicht und Kerzen als Rübengeister ins Fenster oder vor die Tür gestellt. „Wir kennen euch“, lautete die Botschaft an das Böse bei diesem Ritual. „Ihr könnt diesem Haus nichts anhaben.“ Dann zog die „Wilde Jagd“ vorbei mit dem Ruf: „Wir sind die Rübengeister, es schickt uns unser Meister!“ Noch heute ist der Brauch der Rummelbooze vor allem in der Nordpfalz bekannt. „Rummel“ steht für Rüben und „Booze“ für Verkleidung.

Zwischen den Jahren

Die Hochzeit der „Wilden Jagd“ war in den sogenannten Raunächten, die grob zwischen der Wintersommerwende am 21. Dezember und dem 6. Januar verortet wurden. In dieser Zeit blieb man besser zu Hause, denn sonst konnte es vorkommen, in einer kalten Winternacht von der „Wilden Jagd“ in die Luft gezogen und mitgerissen zu werden. Aus diesem Grund hält sich bis heute der Aberglaube, dass man zwischen den Jahren besser keine Wäsche waschen soll. Denn in einer Wäscheleine im Garten oder Hof könnte sich die „Wilde Jagd“ verfangen. Die Folgen für die Hausbewohner wären schrecklich. Gut, dass Wäsche im Winter heutzutage meist im Haus getrocknet wird.

BUCKLICH MAENNLEIN Hier die bildliche Interpretation von Künstler Gerd Kornmann.
Der Schutzdämon hatte seinen Rückzugsort zum Beispiel in nicht aufgeräumten Küchenecken. Zeichnung: Gerd Kornmann/Repro: Norman Krauß

Ursprung des Belzenickels?

Als Abgesandter der „Wilden Jagd“ kann der pfälzische Belzenickel gelten. Hat er doch Attribute vieler Gestalten, die im Tross mitziehen: Von Wodan die dämonischen Hörner, vom Wettergott Thor Ketten und Rasseln statt Blitz und Donner, von der Kinder raubenden Habergeis den Sack. Die Gaben für die Kinder stammen von Wodans Frau Perchta, die in unserer Region „Holle“ genannt wird. In manchen Gegenden Deutschlands galt sie lange Zeit an Weihnachten als Gabenbringerin und damit als Weihnachtsfrau.

Entstehung von Götterwelten

Von den besinnlichen Weihnachtsfeiertagen abgesehen, war die dunkle Jahreszeit aus Sicht unserer Vorfahren also aus verschiedenen Gründen besonders gefährlich. Aber auch zu anderen Jahreszeiten war das Überleben ständig bedroht, zum Beispiel durch missglückte Jagden oder Ernteausfälle. Auch hierfür entwickelten die Menschen Bräuche, die sie vor diesem Unglück bewahren sollten. Während die Ursprünge der bisher vorgestellten kulturellen Muster im ersten Jahrtausend vor Christus liegen dürften, gehen wir nun in der Zeit deutlich weiter zurück, und zwar zu den Jäger- und Sammlergesellschaften, die durch Europa streiften. Ab etwa 8000 vor Christus veränderte sich die schon davor vorhandene Religiosität. Es entstanden einfache, dann immer komplexere Götterwelten, die auch zeichnerisch oder als Skulpturen dargestellt wurden. Es spricht einiges dafür, dass ein Herr oder eine Herrin der Tiere – wie noch vor Kurzem bei nahezu allen Jägervölkern als Beschützer der Tierwelt und Machthaber über das Wohl und Wehe der Jäger – als erste gottähnliche Idee existierte. Manche aufrechtstehende Hirschfigur mit mächtigem Geweih, die unsere Vorfahren an Höhlenwände gemalt haben, werden bisweilen als „Herr der Tiere“ gedeutet.

Blick nach „driwwe“

WALDMOPS Hier die bildliche Interpretation von Künstler Gerd Kornmann. Der Schutzdämon hatte seinen Rückzugsort im Wald. Zeichnung: Gerd Kornmann/Repro: Norman Krauß

Und jetzt lohnt erstmals der Blick von „hiwwe“ nach „driwwe“ zu den Pennsylvania-Deutschen. Die Nachfahren von pfälzischen Auswanderern des 18. Jahrhunderts haben kulturelle Muster viel besser bewahrt als wir hier im Südwesten Deutschlands. Hauptgründe sind sicherlich die zahlreichen Kriege, die hierzulande gefochten werden mussten, die Mischung der Bevölkerung durch Migration und die fortschreitende Industrialisierung. All das gab es bei den Pennsylvania-Deutschen bis weit ins 20. Jahrhundert nicht. Die Nachfahren der Auswanderer waren überwiegend Bauern und lebten oft noch auf dem Flecken Erde, den der ursprüngliche Einwanderer von William Penn oder dessen Söhnen gekauft hatte. Die „deitsch Mudderschprooch“, die dem Pfälzischen rund um Mannheim und Frankenthal am ähnlichsten ist, sowie Rituale im Jahreslauf halfen, sich von den um sie herum siedelnden Engländern, Iren oder Schotten abzugrenzen.

Kekse für den Waldmops

Daher gibt es dort weiterhin den Brauch, an Maria Lichtmess, dem „Groundhog Day“ genannten 2. Februar, eigens dafür gebackene „Antler Cookies“ (Kekse in Hirschgeweihform) in den Wald zu tragen und dort durch Ablegen dem „Waldmops“ (oder „Buschmops“) zu opfern. Der Begriff „Mops“ könnte auf das althochdeutsche Wort „Mup“ zurückgehen, das „Fratzen schneiden“ bedeutet. Man erhofft sich jedenfalls durch dieses Opfer Glück bei den Jagden des Jahres sowie Fruchtbarkeit des Bodens. Die Nachfahren der kurpfälzischen Auswanderer wissen noch, was sich gehört: Entnehme ich dem Wald etwas, zum Beispiel ein getötetes Tier, muss ich im Gegenzug etwas in den Wald hineingeben. Damit der „Herr der Tiere“ alias „Waldmops“ den Menschen gewogen und alles im Gleichgewicht bleibt.

Foto: Norman Krauß

Sie haben dicke rote Nasen. Sie schauen mit großen Augen aus Baumstümpfen heraus. Sie sperren die Ohren auf und lauschen. Beiderseits des Waldgeisterweges halten skurrile Figuren des Hobbyschnitzers Volker Dahl Wacht. Start- und Endpunkt ist der Parkplatz am Schützenhaus bei Oberotterbach (Landkreis Südliche Weinstraße). Hier kann man seiner Fantasie bei einem Spaziergang (rund vier Kilometer hin und zurück) freien Lauf lassen. Der Weg längs des Otterbaches ist für Kinderwagen gut geeignet. Auch aus Holz geschnitzte Tiere, wie Eichhörnchen, Eule oder ein Greifvogel, sind am Wegesrand zu entdecken. [dot]

Info: suedlicheweinstrasse.de/touren

Milch für die Hausgottheit

ECKLEIT / GLEENE LEIT Hier die bildliche Interpretation von Künstler Gerd Kornmann.
Die Schutzdämonen hatten ihren Rückzugsort in naturbelassenen Ecken des Gartens. Zeichnung: Gerd Kornmann/Repro: Norman Krauß

Das Prinzip „Opfer für Jagdglück“ bewährte sich offensichtlich, sodass es nach der Sesshaftwerdung der Menschen in unserer Region etwa ab 6000 vor Christus auch auf die neuen Lebensbereiche übertragen wurde. Im Haus opferte man täglich einer Hausgottheit beispielsweise eine Schale mit Milch, damit die Gottheit über die Familie wachte. Ein Gedanke dabei war, dass der ursprüngliche Erbauer des Gebäudes auch nach dessen Tod weiterwirkte und um Schutz und Hilfe gebeten werden konnte. Wer Astrid Lindgrens „Tomte Tummetot“ kennt, kommt dieser Figur recht nah. Im Deutschen ist sie als „Bucklich Männlein“ im Kinderlied erhalten, und in Pennsylvania singt man noch heute: „Will ich in mein Gaarde geh, will mei Zwiwwele blanze, kummt des bucklich Maennli un fangt glei aa zu danze …“. Praktisch war das „Bucklich Männlein“ in vergangener Zeit auch für den Bauern, weil er Knechten und Mägden sagen konnte: „Mir gehne fort, awwer es bucklich Männlein iss do un guckt, dass ihr ebbes schaffen!“ Das „Bucklich Männlein“ wohnte in einem Bereich des Hauses, der absichtlich nicht aufgeräumt wurde. Dort gab man ihm einen Platz.

Gartenecke für „Gleene Leit“

Im Garten erbittet man in Pennsylvania noch heute die Unterstützung von Elfen und Kobolden. Am „Grumbeere Daag“ am 17. März unternimmt die Bauersfamilie eine Prozession, während der man um ein fruchtbares Gartenjahr bittet. Sie umschreitet das Gartengrundstück längs der Grenze und hinterlässt an jeder Ecke Opfergaben für die „Gleene Leit“, auch „Eckleit“ genannt. Denn dort in den Ecken des Gartens, wo bewusst nichts angebaut wird, leben sie und haben sie ihren Platz in der Nähe der Menschen. In der Pfalz lebt dieses kulturelle Muster in den Gartenzwergen weiter, die unsere Grundstücke bevölkern. Ein ähnliches Ritual gibt es heute noch bei den Sorben in Sachsen und Brandenburg, die im Frühjahr mit Pferden die Begrenzungen ihrer Äcker „umreiten“.

BUTZEMANN Hier die bildliche Interpretation von Künstler Gerd Kornmann. Der Schutzdämon hatte seinen Rückzugsort in nicht abgeernteten Feldecken. In Gartenzwergen lebt das Muster der „Gleene Leit“ bis heute weiter. Zeichnung: Gerd Kornmann/Repro: Norman Krauß

Früchte für die Vegetationsgottheit

Auf dem Feld schließlich errichtet der Bauer an Maria Lichtmess mit aufgehobenem Stroh der letzten Ernte eine Figur: den Butzemann. Bei der Ernte des Vorjahres war darauf geachtet worden, ein kleines Eck des Feldes nicht abzuernten. Hier überwinterte eine Vegetationsgottheit, die nach Errichtung des Butzemanns in diesen einzieht und ihn „beseelt“. Die Figur darf gerne abschreckend und gruselig aussehen. Denn es ist ein Nebenziel, Kinder wie Fremde vom Betreten des Ackers abzuhalten. Das ganze Jahr über erhält der Butzemann Opfergaben und am Tag der Ernte basteln die Kinder, zum Beispiel aus den äußeren Blättern von Maiskolben, kleine Püppchen, die sie in dem Bereich des Feldes platzieren, das in diesem Jahr für die Vegetationsgottheit nicht abgeerntet wird. Anschließend wird der Butzemann verbrannt. Das geschieht spätestens am 31. Oktober und damit am Tag vor der Nacht, in der Rübengeister und Wilde Jagd wieder ihr Unwesen treiben. So schließt sich der Jahreskreis der helfenden und bedrohlichen Gestalten, die in Pennsylvania noch viel mehr als hier in der Pfalz in ihrer ursprünglichen Form im kollektiven Gedächtnis und Brauchtum erhalten geblieben sind.

Pentagramme schützen dauerhaft

Rituale im Jahreslauf halfen, das Böse in Schach zu halten und sorgten so für mehr Sicherheit. Aber man konnte nicht immer und überall Rituale und Opfergaben durchführen. Man musste arbeiten, essen, schlafen. Deshalb kannte das magische Schutzsystem unserer Vorfahren zwei zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen: eine permanente und eine, die nur im Bedarfsfall angewendet wird. Dauerhaften Schutz vor dem Eindringen von Dämonen und Hexen in Gebäude versprach demnach das Anbringen von Pentagrammen oder Hexagrammen in Fenster- und Türrahmen. Gerade Fenster galten früher als Einfalltore für böse Geister. Eine alte Dämonenregel besagt, dass der Geist durch dieselbe Öffnung entfleuchen muss, durch die er hereingekommen war. Das war schon Mephisto in Fausts Studierstube zum Verhängnis geworden. Das Pentagramm zur Straßenseite hatten Mäuse angeknabbert, wodurch er in den Raum eindringen konnte. Der Weg nach draußen war allerdings versperrt, weil die Zacken des Pentagramms auf der Innenseite noch intakt waren. In der Goethe-Zeit war dieser Glaube weit verbreitet. Das ist noch gar nicht so lange her, deshalb finden sich auch in der Pfalz immer noch Schutzsysmbole in Fensterrahmen, über Türen oder am Haus in den oberen Ecken einer Fachwerkkonstruktion. Diese Symbole sind ebenfalls mit nach Pennsylvania ausgewandert. Was bei uns allerdings höchstens 15 Zentimeter im Durchmesser hat, misst auf einer Scheune in Pennsylvania gerne einmal zwei Meter.

SCHÜTZEND Pentagramme oder Hexagramme in Fenster- und Türrahmen sind als Schutz gegen das Eindringen von Hexen und Dämonen gedacht. Foto: Michael Werner

Gemeinsame Wurzeln

Ein kleiner Exkurs: Auffallend ist, dass wir diese Symbole nicht nur überall in Europa und durch die Auswanderer in Amerika finden, sondern sogar im Norden Indiens. Ein Indiz, dass wir es hier mit einer indoeuropäischen Erfindung zu tun haben. Die Heimat dieser ethnolinguistischen Gruppe, die durch gemeinsame sprachliche Merkmale und kulturelle Verbindungen gekennzeichnet ist, wird etwa 6000 v. Chr. im nördlichen Bereich des fruchtbaren Halbmondes (Israel, Syrien, Jordanien, Irak) verortet. Von hier breiteten sich die Indoeuropäer westlich nach Anatolien und nördlich in die Steppen der heutigen Ukraine aus. Nach Osten bewegten sie sich in Richtung des indischen Subkontinents. Und so sind die meisten europäischen Sprachen heute eng miteinander verwandt – und diese Verwandtschaft besteht auch in den Bräuchen und Riten. In (Nord-)Indien gibt es ebenfalls eine Form der Wilden Jagd und einen „Brauchtumsspruch“, um Albträume zu vertreiben. Hierzu später mehr.

Foto: Michael Werner

Weiße Magie heilt Kranke

Damit kommen wir zurück zu unserem Kulturkreis: Für Probleme, die plötzlich auftreten, kennen die Pennsylvania-Deutschen noch heute eine Technik, die Braucherei genannt wird. Die Ausführenden werden Braucher genannt. Bei dieser „weißen Magie“ wird versucht, Krankheiten mit Ritualen, Kräutern und dem Einsatz von Bibelsprüchen zu heilen. Der Braucher bittet – ganz im Sinne einer viele tausend Jahre alten schamanischen Tradition – die Vorfahren um Beistand und Rat, um einer Person in Not zu helfen. Das kleine Einmaleins ist das Besprechen von Warzen. Das sei hier besonders erwähnt, um die Denkweise zu erklären, die hinter dem Brauchen steckt. Wir werden es benötigen, um uns der Auflösung des Rätsels zu nähern, was Elwedritsche wirklich sind. Wir sind auf dem Weg!

Das Heilen einer Warze

Der Braucher nimmt also zum Beispiel eine „pälzer Grumbeer“ und schneidet sie in zwei Teile. Beide Teile reibt er nacheinander über die Warze, während er gleichzeitig die Worte spricht: „Alles, was ich seh, des nemmt zu – un was ich fiehl, nemmt ab. Im Namen des Patri, Filii et Spiritu Sancti!“ Anschließend fügt er die beiden Teile der Pälzer Grumbeer wieder zusammen, geht nach draußen und platziert die Kartoffel dort, wo durch ein Regenrohr Wasser in die Erde fließt. (Das ist heute in der Pfalz schwer zu finden. In Pennsylvania gibt es das jedoch noch oft an Scheunen.) Das Wasser ist in der Lage, das Böse, das in der Kartoffel gebunden ist, aus dieser herauszulösen und abzutransportieren. Am besten funktioniert das bei Vollmond, weil dann die Kraft des Mondes am größten ist und er Wasser – siehe Ebbe und Flut – zu sich zieht. So haben unsere Vorfahren gedacht, und so denken manche in Pennsylvania noch immer. Und mit diesem Wissen nähern wir uns endlich der Pälzer Elwedritsche.

DER HIWWE WIE DRIWWE CODE Eine Darstellung des vorchristlichen Schutz- und Ritualsystems der Pennsylvania-Deutschen. Hintergrund dafür ist der Wunsch, in einer nicht kontrollierbaren Welt die Kontrolle zu behalten. Quelle:© Dr. Michael Werner 2023

Dämonen im Halbschlaf

Was wir bis jetzt wissen: Die Dämonenabwehr am Haus erfordert ordentlich gemalte Pentagramme (sogenannte Drudenfüße) oder Hexagramme in oder über den Fensterrahmen. Wo sie fehlen, kann es gefährlich werden. Natürlich nicht immer und zu jeder Zeit – aber in Momenten, in denen sich sinnliche Welt und übersinnliche Welt vermischen. Dummerweise gibt es solche Momente auch und gerade im Schlaf – oder besser gesagt: im Halbschlaf. Nicht schlafen und nicht wach sein, aber träumen. Das kennt jeder. Und sehr oft sind diese Träume Albträume. Menschen vor 200 Jahren glaubten, ein Dämon sei hierfür verantwortlich. Hereingeflogen durchs Fenster, setzt er sich auf den Brustkorb des Schlafenden und engt diesen ein, indem er sich mit seinen Krallen fest in den wehrlosen Körper gräbt. „Albdruck“ bzw. „Albdrude“ war eine gängige Bezeichnung für diese Kreatur – ein Geschöpf, das menschliche Züge hatte, aber gleichzeitig auch Krallenfüße und womöglich Flügel. Denn es war ja lautlos in die Stube geflogen. Der Dämon konnte aber auch als Hauch durch ein Schlüsselloch ziehen oder als Feder in Richtung des Schlafenden schweben. Kurz: Man konnte der Albdrude nicht entrinnen. Die Vielgestaltigkeit der heutigen Elwedritsche mit Schwimmfüßen und Flügeln soll das zum Ausdruck bringen. Bei der Albdrude handelt es sich somit um ein „dämonisches Fliewatüüt“ (nach einem Buch von Boy Lornsen).

FABELHAFT Ursprünglich galt die Elwedritsche als ein Albtraum bringender Dämon. In der Pfalz wird dem vogelähnlichen Fabelwesen heute
vielerorts ein Denkmal gesetzt. Hier der Elwedritsche-Brunnen in Neustadt an der Weinstraße. Foto: Norman Krauß

Das Geheimnis der Elwedritsche

Zum Glück gibt es Braucher, die mit ihren Techniken für Abhilfe sorgen. Der Spruch, der gegen Albdruden anzuwenden ist, lautet: „Trotterkopf, ich verbiete dir meine Bettstatt, dass du nicht über mich tröste, tröste in ein ander Haus, bis zu alle Berge steigest und alle Zaunstecken zählest und über alle Wasser steigest. So komm der liebe Tag wieder in mein Haus, im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und Gottes des Heiligen Geistes. Amen.“ In „Trotter“ steckt das gotische Wort „trudan“, das treten bedeutet. „Trudan“ erscheint als „Trutt“ im Mittelhochdeutschen und „Drude“ im Neuhochdeutschen.  Aus „Alb“ wurde mit der Zeit „Elb“ und aus „drude“ „dritsch“. Rätsel gelöst. Die Elwedritsche ist ursprünglich ein Albtraum bringender Dämon. In Pennsylvania heißen die dämonischen Wesen „Elbedritsche“. Das ist die ältere Sprachform aus dem 18. Jahrhundert. Erst mit der Zeit wurde in der Pfalz daraus „Elwedritschen“.

Foto: Norman Krauß

Zum Nist- und Balzplatz, dem Heil- und Badeplatz oder zu beliebten Aussichtspunkten des Pfälzer Sagenvogels führt der rund zehn Kilometer lange Elwetritscheweg in Dahn (Landkreis Südwestpfalz). Den Rundweg, der am Kurpark beginnt, säumen sieben Infotafeln, die Wissenswertes zum Fabelwesen vermitteln. Pfade und Wege im Wald führen über Bergkämme um Dahn herum. Bei der Tour werden auch die Felsformationen zum Erlebnis. So eröffnet sich nach dem Aufstieg zum Römerfelsen ein grandioser Rundblick aufs Dahner Felsenland. Ein Tipp: Das Elwetrische-Markierungszeichen gibt es in der Tourist-Info als Souvenir. [dot]

Info: dahner-felsenland.de

Rätsel für Dämonen

Das Prinzip des Braucherei-Spruchs ist einfach und wirksam: Banne einen Dämon, indem du ihm ein Rätsel gibst, das er nicht lösen kann. Erst wenn alle Aufgaben gelöst sind, darf der Plagegeist wieder auftauchen. Das führt uns zur Elwedritschen-Jagd, die nichts anderes ist als ein ritualisiertes Aufführen des Trotterkopf-Zauberspruchs. Dämon ist hier nicht die Albdrude, sondern zum Beispiel ein zugezogener Neupfälzer. Er erhält seine Aufgaben: Sack, Laterne, stehen bleiben. Mit diesem Rätsel wird er gebannt, und die übrigen Jagdteilnehmer vergnügen sich derweil in der nächsten Gaststätte. Aber auch für ihn heißt es irgendwann: „So komm der liebe Tag wieder in mein Haus.“ In diesem Fall ist es ein Wirtshaus.

Der stärkste Zauberspruch der Welt

Ein letzter Tipp: Jeder ausgesprochene Zauberspruch kann zurückgenommen werden, indem man ihn rückwärts aufsagt. Was im Umkehrschluss bedeutet: Der stärkste Zauberspruch der Welt ist der, den man nicht rückwärts aufsagen kann. Diesen gibt es wirklich: SATOR AREPO TENET OPERA ROTAS. Frei übersetzt: „Der Sämann Arepo, mit Mühe hält er die Räder am Laufen.“ Zu finden ist er in Deutschland wie in Pennsylvania auf Gegenständen, die gut gegen Dämonen geschützt werden müssen. Es ist übrigens der Lieblingszauberspruch von Catweazle, dem Held der gleichnamigen englischen Fernsehserie aus dem Jahr 1969. Sie wurde 1970 in England und 1974 in Deutschland ausgestrahlt. Und wir stellen fest: Alles hängt meist mit allem zusammen – vor allem in der Pfalz.

Lesetipp

Hiwwe wie Driwwe – Der Pennsylvania ReiseVerFührer
Agiro Verlag
ISBN 978-3-946587-34-7
240 Seiten, Softcover
17,90 Euro

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Veranstaltungs­tipps

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Geheimnisvolle Pfalz

Walpurgisnacht

In der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai ziehen heutzutage Jugendliche durch die Gemeinden, um zu “hexen”. Der Ursprung der Walpurgisnacht geht wohl auf die Zeiten Karls des Großen zurück, als die letzten Heiden in dieser geheimnisvollen Nacht heimlich den Beginn der „hellen Jahreszeit“ auf Berggipfeln feierten.

Foto: Phil_Robson/Unsplash

Zum 19. Mal feierte die Ortsgruppe Wachenheim des Pfälzerwald-Vereins am 30. April 2023 am Hexenstein auf dem Mittelberg gegenüber der Wachtenburg ein familienfreundliches „Hexenspektakel“ inklusive Hexentanz. Auch andernorts in der Pfalz, in der Eifel, im Hunsrück, im Saarland und in Südbaden gehen Jugendliche am späten Abend der Walpurgisnacht durch die Orte, um zu „hexen“ beziehungsweise zu „walpern“.

Auf dem Brocken im Harz

Johann Wolfgang von Goethe hat sich mehrfach mit dem Brauchtum rund um den 1. Mai beschäftigt, nicht nur in seinem „Faust I“. Ihm zufolge liegen die Ursprünge bei den von Karl dem Großen im späten 8. und frühen 9. Jahrhundert geführten Sachsenkriegen. Nach der christlichen Zwangsbekehrung der Sachsen als letzte Heiden im germanischen Siedlungsraum pflegten viele Stämme die alten germanischen Bräuche über Generationen im Verborgenen weiter. So zogen sie in der Nacht zum 1. Mai hoch zu Berggipfeln, die damals noch schwer zugänglich waren, um den Beginn der „hellen Jahreszeit“ mit einem rituellen Fest und einem großen Lagerfeuer zu feiern. Der bekannteste Versammlungsort war der Brocken im Harz. Mit im Gepäck hatten die Sachsen bei diesen Bergaufstiegen Heugabeln und Besen als Hilfsmittel, um das Feuer zu schüren. Natürlich bekam die christliche Kirche bald Wind von diesen Umtrieben. Mit aller Macht wurden danach die heidnischen Feste bekämpft und die Teilnehmenden als Hexen und Teufel dämonisiert. Die alten germanischen Gottheiten bekamen in Abbildungen in der Folgezeit immer wieder Hörner aufgesetzt.

Sind Wolpertinger und Elwedritsche verwandt?

Am 1. Mai wird übrigens seitens der Christen der Heiligsprechung von Walburga (um das Jahr 870) gedacht – eine englische Adlige, die in Süddeutschland als christliche Missionarin tätig war. Auf ihren Namen geht auch der bayrische Wolpertinger zurück. Ob das Fabelwesen aus verschiedenen Waldtieren mythologisch mit der Pfälzer Elwedritsche verwandt ist?

Zur Titelgeschichte
“Geheimnisvolle Pfalz”

  • Dezember 2023
    Noch vor 200 Jahren war der pfälzische Alltag geprägt von Geschichten über dunkle Gestalten, magische Wesen, geheimnisvolle Mythen und Rituale, Glaube und Aberglaube. Einiges davon, …

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Pfälzer Museumstour

Mit Liebe fürs Detail

Im Miniaturformat können auch besonders große Dinge Platz in einem Museum finden. So hat das Bachbahn Museum eine ganze Eisenbahnstrecke unter ein Dach bekommen und im Bajasseum steht der kleinste Zirkus der Welt. Im Museum Tausendsassa Alkohol dagegen haben die meisten Exponate Original-Größe, der Blick wird dennoch auf kleine, aber feine Details gelenkt.

Fotos: Julia Köller

Schillernd, bunt und vielleicht auch ein wenig frivol ging es früher in Enkenbach-Alsenborn zu. Denn der Ortsteil Alsenborn war einst weithin als Heimat der Seiltänzer bekannt. Artisten, Dompteure und Puppenspieler tummelten sich vor allem in den Wintermonaten im Ort und gingen von dort aus auf Tournee. Auch für die Einheimischen gaben sie so manche Vorstellung. An diese bewegte Zeit erinnert heute das Zirkusmuseum Bajasseum. Gästeführerin Inge Schwarz hat die Artisten in ihrer Kindheit noch selbst erlebt. „Sie haben in Enkenbach vom Kirchturm aus ein Seil gespannt“, erzählt die 83-Jährige und hat dabei noch die Seiltänzerinnen mit ihren schwarzen Schillerlocken und Tutus vor Augen. „Da waren wir Mädchen ganz begeistert.“ Die Glanzzeit der Alsenborner Künstlerfamilien war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon vorüber.

Hereinspaziert ins Bajasseum

Modell des kleinsten Circus der Welt
BAJASSEUM Seit 30 Jahren zeigt die Schau die Zirkus-Vergangenheit Alsenborns.

Ihren Ursprung hatte die Artistengeschichte des Ortes im 19. Jahrhundert, als viele Menschen in der Region unter Armut und Hunger litten. „Not macht erfinderisch“, sagt Inge Schwarz. „Der Alltag war damals so übel, dass die Leute sich etwas überlegen mussten.“ Die Menschen entdeckten den Zirkus als Alternative zur Auswanderung, was unter anderem daran lag, dass ein Musikant aus Alsenborn – Karl Lorenz Schramm – im Jahr 1847 die Seiltänzerin Elisabetha Wolf aus Kirrweiler heiratete. Doch schon in den Jahren davor zogen erste Wandermusikanten aus dem Dorf durch die Lande. Kostüme, Requisiten und Fotos aus der Zirkus-Vergangenheit Alsenborns sind im Bajasseum ausgestellt, das 1994 im ehemaligen Feuerwehrhäuschen eröffnet wurde. Und dort heißt es fast immer „Hereinspaziert!“, denn die Türen werden morgens um 9 Uhr geöffnet und erst abends um 18 Uhr wieder geschlossen. So kann das Museum jederzeit und kostenlos besucht werden.

Gästeführerin Inge Schwarz
Gästeführerin Inge Schwarz.

Der kleinste Zirkus der Welt

Wer durch den geöffneten Vorhang tritt, wird sogleich ein ganz besonders faszinierendes Exponat entdecken: den kleinsten Zirkus der Welt. Das vom Modellbauer Herbert Guth angefertigte Modell zeigt eine komplette Zirkusvorstellung von der Tierdressur über Akrobatiknummern bis zum Seiltanz sowie die um das Zelt herum aufgestellten Wagen der Artisten. Ursprünglich lief das Programm mechanisch ab, doch wegen eines Defekts ist die äußerst detailreich gestaltete Szene aktuell nur im Stillstand zu bewundern. Ein weiterer Blickfang ist ein mit Glitzersteinen besetztes rosafarbenes Kleid der wohl berühmtesten Seiltänzerin aus Alsenborn. Elisabeth Endres trat schon als kleines Kind in der Manege auf, wie ein Foto beweist, auf dem sie als Vierjährige zu sehen ist. Ihre größten Erfolge feierte die Artistin, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA auswanderte, in den 1930er-Jahren.

Akrobatik und Anekdoten

Mehrere bekannte Zirkusfamilien hatten ihren Sitz seinerzeit in Alsenborn. Wilhelm Althoff gehörte ebenso dazu wie Andreas Bügler, dessen Kinder zu den besten Artisten ihrer Zeit zählten. Doch neben vielen Berichten über ihre Erfolge und akrobatischen Leistungen beleuchtet die Ausstellung im Bajasseum auch besondere Ereignisse aus der Zirkus-Zeit. Die tragischste Anekdote dreht sich um den Frisör Peter Feierabend, der 1911 im Löwenkäfig den Menageriebesitzer rasieren sollte. Vor den Augen des entsetzten Publikums griff einer der Löwen den Frisör an – wahrscheinlich, weil er einen Angriff auf seinen Herrn vermutete – und tötete ihn.

Elefant als Feldarbeiter

AUSHILFSJOB Weil Pferde während des Ersten Weltkrieges an der Front gebraucht wurden, spannten Bauern Elefanten vor den Pflug. Auch daran erinnert das Zirkusmuseum.

Amüsant ist dagegen die Erzählung, die dem Ort Alsenborn eine beeindruckende Steinskulptur auf einem Kreisverkehr an der Grenze zu Enkenbach bescherte. Sie zeigt einen Elefanten, der von einem Bauern vor den Pflug gespannt worden ist. Und genau so soll es sich während des Ersten Weltkriegs zugetragen haben. Weil die Pferde im Krieg eingesetzt wurden, habe ein Bauer sich einen der Zirkuselefanten für die Feldarbeit ausgeliehen. Auch ein vermeintliches Foto dieser Szene existiert und ist als Nachdruck in vielen Haushalten in Alsenborn zu finden. Die Einwohner hätten ein zwiespältiges Verhältnis zu den Zirkusleuten gehabt, berichtet Inge Schwarz. Einerseits hätten sie Geld in den Ort gebracht, andererseits seien sie stets Fremde geblieben.

Alsenborner, die Possenreißer

Der Ausdruck Bajasse, von dem sich auch der Name des Museums ableitet und der heute noch scherzhaft als Spitzname für die Alsenborner benutzt wird, spiegelt dies wider. Denn Bajasse kommt vom italienischen Wort Bajazzo, was so viel heißt wie Possenreißer. Die Artisten seien aber in jedem Fall Trendsetter gewesen. „Sie haben die Mode und das Verhalten verändert.“ Und definitiv haben sie dem Ort zu einer besonderen Vergangenheit und einem außergewöhnlichen Museum verholfen.

Die Welt des Alkohols

Recht neu auf der Liste der außergewöhnlichen Museen in der Pfalz ist derweil „Tausendsassa Alkohol“ in Germersheim – als „PAN Das Museum“ Teil des Konzepts für die heutige Nutzung der früheren PAN Brennerei Berkel. Mathias Berkel, Geschäftsführer des Familienunternehmens Berkel, hat es im vergangenen Jahr „statt der üblichen Feierlichkeiten“ zum 175-jährigen Jubiläum der mittlerweile in Ludwigshafen ansässigen Firma eröffnet. „Die Botschaft des Museums ist, dass der Alkohol ein Tausendsassa ist, der viel mehr kann, als nur getrunken zu werden“, sagt der 63-Jährige. Auf rund 350 Quadratmetern werden in dem 1899 erbauten Gebäude nun Einblicke in die vielfältige Welt des Alkohols gegeben. Das beginnt schon in der lichtdurchfluteten Halle im Erdgeschoss, obwohl das eigentliche Museum eine Etage höher liegt. Alte Werbeplakate versetzen den Betrachter im Nu in die Zeit zurück, als in dem alten Backsteinbau noch der bekannte Wodka Pan und andere Spirituosen gebrannt wurden. Erst später wurde die 1847 gegründete Firma nach dem Wodka benannt. „Nach dem Krieg hatten der Cousin meines Vaters und mein Großvater die Idee“, berichtet Mathias Berkel. Neben der Brennerei habe die Fabrik, zu der auch eine Mühle gehörte, damals noch eine weitere Funktion gehabt: „Wir waren der erste Stromlieferant in Germersheim.“

Die Ursprünge des Alkohols

Mathias Berkel.

Das Museum erzählt die Geschichte des Alkohols. „Wahrscheinlich wurde Alkohol von arabischen Medizinern das erste Mal gewonnen, um Kräuter zu lösen“, so Berkel. Früher sei Alkohol, gemeint ist der Stoff Ethanol, etwas für Spezialisten gewesen und kein Massenprodukt wie heute. „Als Genussmittel entdeckt wurde er erst im 15. Jahrhundert.“ Unter anderem haben Mönche viel experimentiert und den Wein, den man ja schon seit Tausenden Jahren kannte, dabei auch mal erwärmt, erfährt der Besucher in der Ausstellung. Der Geruch, der dabei durch den entweichenden Alkohol wahrzunehmen gewesen sei, hätten sie als den „Geist des Weines“ bezeichnet, verrät Diplom-Brennmeister Mathias Berkel. „Davon kommt auch der Begriff Spirituosen.“ Ethanol nur aus Wein zu gewinnen, wäre jedoch zu kostspielig. „In der Regel gewinnt man ihn heute aus Getreide, Kartoffeln und Obst“, zählt der Fachmann auf. Im Museum werden nicht nur die Verfahren erklärt, sondern auch verschiedene Geräte zur Alkoholherstellung präsentiert. Von der Schwarzbrennerblase, wie sie vielleicht manch einer verbotenerweise im Hinterzimmer hatte, bis zur professionellen Anlage. Natürlich, so verlangt es das Gesetz, sind diese Gerätschaften nicht mehr voll funktionsfähig. Aber dennoch bestens geeignet, den Prozess der Destillation nachvollziehbar zu machen.

Informativ, interaktiv, innovativ

Das Museum ist in sechs Themenwelten unterteilt: Dargestellt werden die Anfänge des Alkohols, die Technik des Brennens, die Arbeit im Labor, das Thema Alkohol in der Gesellschaft, der Tausendsassa Alkohol und die Zukunft. Aspekte wie Alkoholmissbrauch werden dabei ebenso wenig ausgelassen wie die Vielfalt der Produkte, in denen Alkohol enthalten ist und die problemlos einen Einkaufswagen füllen, seien es Reinigungsmittel, Kosmetika oder auch Schuhcreme. In dem offen gestalteten Raum ist es allerdings nicht zwingend nötig, alle Stationen der Reihe nach zu studieren. So kann jeder Besucher nach dem Betrachten der alten Alkoholmessgeräte oder des Modells einer modernen Rektifikationsanlage noch einmal zu den Anfängen zurückwandern oder sich an den interaktiven Tischen eingehender informieren. Weitere Informationen soll bald eine Audioführung mit der Stimme des Firmenchefs bieten, die derzeit in Arbeit ist.

Alkohol in der Kunst

Es lohnt sich durchaus, sich in die Erklärungen zu vertiefen. Denn wer nicht gerade selbst Chemiker oder ausgewiesener Experte für Alkohol ist, erfährt im PAN-Museum viel Neues und teilweise Überraschendes. Etwa, dass Rohsprit nicht für Lebensmittel verwendet werden kann oder dass reines Ethanol nur gewonnen wird, indem der Alkohol am Ende dehydriert wird. Wer das ehemalige Kesselhaus neben der Halle betritt, entdeckt zudem noch eine weitere Themenwelt: PAN Die Kunst. Denn als Kunstliebhaber hat Mathias Berkel einige Gemälde gesammelt sowie Schautafeln mit berühmten Werken drucken lassen, in denen Alkohol ebenfalls eine Rolle spielt. Verschiedene Zitate berühmter Menschen und Retro-Metallschilder zeigen dabei, dass man das Thema durchaus mit einem Augenzwinkern aufgreifen kann.

UNTERHALTSAM In den sechs Themenbereichen des Museums wird kein Aspekt des Alkohols ausgelassen.

Detailliebe im Bachbahn Museum

An Humor fehlt es auch den Modellbauern nicht, die das Bachbahn Museum in Kaiserslautern-Erfenbach mit einer Miniaturlandschaft gefüllt haben. Entlang der weitgehend originalgetreu nachgebildeten ehemaligen Bahnstrecke von Lampertsmühle-Otterbach nach Reichenbach ist unter anderem eine Szene zu entdecken, die an das Lied „Ein Bett im Kornfeld“ erinnert. Mitten im Getreide hat es sich ein leicht bekleidetes Pärchen bequem gemacht, obwohl bereits der Mähdrescher naht. Auch ein mit Hippie-Motiven verzierter Bulli ist nicht weit. Es sind die vielen liebevollen Details, die die Modellbahn-Anlage im Obergeschoss des Gebäudes zu etwas ganz Besonderem machen. Teile der Strecke gab es schon, bevor das Museum vor einigen Jahren in der Scheune und Stallungen des 1820 erbauten Bauernhofs eröffnet wurde. „Wir wollten Erfenbach zum 100-jährigen Bestehen der Bachbahn 2014 einen Bahnhof bauen“, erinnert sich Jürgen Stemler, Vorsitzender des Trägervereins Bachbahn. Damit hatten er und einige Mitstreiter schon 2005 angefangen.

Bahnverkehr 1996 eingestellt

Aus einem Bahnhof wurden jedoch mehr und mehr Module, die sich für Ausstellungen zu einer Strecke zusammensetzen ließen. Als dann der heutige stellvertretende Vorsitzende Paul-Peter Götz den ehemaligen Schermerhof erwarb, um ihn vor dem Abriss zu bewahren, und ihn den Modellbauern zu einer kleinen Miete anbot, war es beschlossene Sache, dauerhaft ein Museum einzurichten. Die 16,5 Kilometer lange Strecke der Bachbahn wurde 1989 zunächst auf einem Teilstück und 1996 ganz stillgelegt. Seit 1914 hatte sie die Orte Otterbach, Erfenbach, Siegelbach, Rodenbach, Weilerbach, Schwedelbach und Reichenbach miteinander verbunden und verdankt ihren Namen den einheitlichen Endungen der Bahnhöfe. Viele der Bahnhofsgebäude sind heute zwar noch erhalten, werden jedoch anders genutzt und sind teilweise baulich verändert worden.

1000 Bilder, 1000 Bäume

Vorsitzender des Trägervereins Bachbahn Jürgen Stemler und Vereinsmitglied und Bahnenthusiast Helge Ebling.

Im Bachbahn Museum sind alle Gebäude im Originalzustand zu sehen. Wie viele Stunden Arbeit darin stecken, vermag Jürgen Stemler nicht zu sagen. Allein die 1300 einzelnen Doppelfalzziegel auf den Nachbau des ehemaligen Hotels Müller in Otterbach zu kleben, habe etwa eine Woche gedauert, schätzt der 70-Jährige. Vielleicht hat er deshalb eine Figur, die ihn selbst darstellen soll, gerade vor dieses Haus platziert. Um noch näher am Original zu sein, arbeiten die Modellbauer daran, den Hintergrund maßstabsgetreu mit Fotos der entsprechenden Streckenabschnitte zu gestalten. Vereinsmitglied Helge Ebling und sein Vater haben dafür rund 1000 Bilder gemacht. Viel Arbeit steckt auch in den Bäumen, die das Team aus Kostengründen selbst bastelt. „Da wir im Pfälzerwald sind, brauchen wir ja ein paar“, sagt Ebling lachend. Ein paar – das sind etwa 1000 Bäume.

Original Werkslok vor der Tür

BACH-VERBINDUNG Die sogenannte Bachbahn fuhr auf der 16,5 Kilometer langen Strecke zwischen Otterbach und Reichenbach bis 1996.

Detailgetreu sind nicht zuletzt auch die Züge, die auf der 180 Meter langen Spur-0-Strecke fahren: „Unser Ziel ist, dass hier nur Lokomotiven und Triebfahrzeuge fahren, die auch auf der Bachbahn gefahren sind“, bekräftigt Stemler. Zu den Modellfahrzeugen kommt noch ein besonderes Ausstellungsstück vor der Tür hinzu: eine Original-Diesellok von 1970, die einst für die Spinnerei Lampertsmühle unterwegs war. Seit 2022 steht die Werkslok auf eigens verlegten Schienen vor dem Bachbahn Museum und wird nun restauriert. Auch weitere Exponate rund um die Bachbahn und die Eisenbahn im Allgemeinen hat der Trägerverein zusammengetragen. Bahnhofsschilder, ein Fahrkartenschalter und sogar ein nachgebauter Speisewagen mit Original-Interieur von 1934 lassen im Erdgeschoss – dem ehemaligen Kuhstall – Bahnromantik erlebbar werden. Im Speisewagen oder am „Gleis 3“ sowie im Biergarten vor dem Museum gibt es zudem das vor Ort gebraute Bachbahn-Bräu.

Bauende: Oktober 2075

Auch rund um die Modellbahnstrecke sind viele Utensilien ausgestellt, die für den Bahnbetrieb vonnöten waren. Alte Lampen etwa, ein Morseapparat oder riesige Schrauben. Auf ein Ausstellungsstück ist Stemler dabei besonders stolz, auch wenn es auf den ersten Blick gar nicht auffällt. Der gebürtige Erfenbacher hat einen Pfosten des Erfenbacher Bahnhofs retten können, der von einem Bauern für einen Weidezaun benutzt worden war. „Der Bahnhof ist abgerissen worden, aber ich habe noch dieses Relikt“, sagt er. Stemler und Ebling sind während der Öffnungszeiten des Museums in der Regel immer vor Ort. Ebenso wie weitere Modellbauer des Vereins, denn an der Strecke wird kontinuierlich weitergearbeitet. Eine Erweiterungsmöglichkeit gibt es auch bereits, wenn die Museumsbetreiber an ihre Grenzen stoßen sollten. So wird die Bachbahn im Miniaturformat wohl eine unendliche Geschichte werden. „Wir haben uns einen Fertigstellungstermin gesetzt“, verrät der Vorsitzende zwar. Doch als er den nennt, muss er selbst lachen: „Oktober 2075!“

Zirkusmuseum Bajasseum

Rosenhofstraße 87 in Enkenbach-Alsenborn. Täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei.

PAN Das Museum – Tausendsassa Alkohol

Klosterstraße 2 in Germersheim (ehemaliges Fabrikgebäude der Firma Berkel). Ein Besuch ist bei einer Stadtführung von April bis Oktober an jedem ersten Samstag im Monat (Treffpunkt um 16 Uhr am Ludwigstor) oder in Gruppen für bis zu 25 Personen nach Terminvereinbarung unter Telefon 07274 960301 oder 0621 5495918 möglich. Der Eintritt kostet 90 Euro für Gruppen bis 25 Personen oder 9 Euro einzeln. Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren sind frei.

Bachbahn Museum

Siegelbacher Straße 113 in Kaiserslautern-Erfenbach. Öffnungszeiten: an jedem ersten Sonntag im Monat von 11 bis 17 Uhr (mit Fahrbetrieb), Di und Do von 16 bis 17 Uhr für Modellbau-Interessierte. Eintritt frei.

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Veranstaltungs­tipps

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Natürlich gärtnern

Grüne Vielfalt im Kleinformat

Wenn der Garten vor allem im Winter nicht mehr so große Ernte bietet, können kleine, im Haus gezogene Pflanzen für den Frischekick auf dem Teller sorgen. Sprossen und Microgreens ziehen, ist recht simpel und macht Spaß.

Foto: Shashank Mohan/Unsplash

Ein Garten – ganz gleich, wie groß – ist vielfältig. Für die unterschiedlichsten Bereiche kamen bis jetzt in unserer Serie eine Fachfrau oder ein Fachmann zu Wort. Beim Thema „Microgreens und Sprossen“ ist es anders. Denn hier kann jeder, auch ohne besonders grünen Daumen, schnell zum „Experten“ werden. Daher dieses Mal ein paar Tipps aus eigenen Experimenten. Doch zunächst ein paar Fakten zu dem sogenannten Superfood.

Microgreens sind Miniaturpflanzen

Haben Sie schon mal selbst Kresse gezogen? Dann war das bereits die erste Erfahrung mit einem Vertreter der Microgreens. Das sind kleine, junge Pflänzchen von Gemüse, Kräutern oder Getreide, die gerade einmal ein paar Zentimeter groß sind. Sie werden geerntet, wenn die ersten Blätter auftauchen, typischerweise nach sieben bis 21 Tagen. Geschmacklich sind Microgreens intensiv und variabel, da sie bereits die ersten Blätter entwickelt haben. Bei Microgreens sind Kresse, Rucola, Senf, Brokkoli und Radieschen beliebte Optionen für Anfänger. Diese Samen keimen schnell und wachsen relativ unkompliziert.

Sprossen sind Keimlinge

Sprossen wiederum sind die zarten, wachsenden Keimlinge von Samen, bevor sich die ersten Blätter entwickeln. Dementsprechend haben sie einen milderen Geschmack. Bei den Sprossen sind Luzerne (Alfalfa), Radieschen, Mungobohnen, Linsen und Kichererbsen leicht zu handhaben und manche sind bereits nach zwei Tagen fertig.

Wie sie angebaut werden

SPANNEND Wenn man dabei zusehen kann, wie sich Leben entfaltet, ist dies packender als jeder Krimi. Foto: Foto: Anthony Ieviev/Unsplash

Für Microgreens benötigt man Samen, Erde oder Hanfmatten oder eine Tonschale, Licht und Wasser. Die Samen werden gleichmäßig auf die Erde oder das Nährmedium gestreut, leicht angedrückt und dann bewässert. Bis zur Ernte regelmäßig kontrollieren, ob das Saatgut noch feucht, aber nicht nass ist. Bei Microgreens sind die meisten Pflanzen Lichtkeimer, was bedeutet, dass die Samen auf der Erde/Unterlage bleiben und nicht tief eingegraben, nur angedrückt werden. Sprossen werden in einem Wasserglas oder einem speziellen Sprossenturm ohne Erde gezogen werden. Die meisten Samen möchten zuerst ein paar Stunden quellen, danach genügt es, die Samen in einem Sprossenglas drei bis vier Mal pro Tag mit Wasser zu spülen und ordentliche abtropfen lassen. Zu feucht bedeutet Schimmelgefahr – auch bei den Microgreens. Bei den Sprossen gibt es Lichtkeimer wie Luzerne (Alfalfa) und Dunkelkeimer wie Mungobohnen. Bei Letzteren kann man die Sprossengläser zum Beispiel einfach mit einem dunklen Handtuch abdecken. Bei einer Zimmertemperatur, zwischen 18 und 22 Grad, keimen die meisten Samen am besten.

Warum Microgreens und Sprossen beliebt sind

Erstens: Das Mini-Gemüse ist reich an Nährstoffen. Obwohl sie klein sind, enthalten sie eine hohe Konzentration an Vitaminen, Mineralien und Antioxidantien. Zweitens sind sie leicht und schnell ohne viel Equipment anzubauen. Drittens verleihen sie Gerichten eine frische Note. Da sie in Innenräumen angebaut werden, ermöglichen sie eine kontinuierliche Versorgung mit angebauten Lebensmitteln, unabhängig von den Witterungsbedingungen draußen.

Wofür man sie verwendet

Microgreens und Sprossen können vielseitig eingesetzt werden. Man kann sie als Garnitur für Suppen und Salate verwenden, in Smoothies mischen oder auf Sandwiches streuen. Beide sind sehr bekömmlich und können roh verzehrt werden, wobei Sprossen auch eine tolle Zutat für Gemüsepfannen jeder Art sind.

GUTE-LAUNE-GRÜN Sogenannte Microgreens bringen Farbe und vor allem Vitamine in die Küche, wenn der Garten eine Winterpause einlegt. Foto: Liza Golyarchuk/Unsplash

Wann der Anbau nachhaltig ist

Der Anbau von Microgreens und Sprossen ist dann nachhaltig, wenn unbehandelte, hochwertige Bio-Samen verwendet werden, für die Microgreens wiederverwendbare Anzuchtschalen gewählt werden und – das klingt banal – die fertigen Minipflänzchen und Sprossen auch aufgegessen und nicht weggeworfen werden. Gerade am Anfang kann es passieren, dass man eine zu große Menge oder zu viele verschiedene Sorten gezogen hat. Sprossen halten sich im Kühlschrank nur einige Tage. Generell schneiden Microgreens und Sprossen beim Ressourcenverbrauch gut ab, da der Anbau wenig Wasser und wenig oder keine Erde erfordert. Die kurze Anbauzeit und der geringe Platzbedarf tragen ebenfalls zur Nachhaltigkeit bei. Und: Die „Pflege“ lässt sich gut in den häuslichen Alltag integrieren, wodurch das Ganze für den „Gärtner“ einen stressfreien Ablauf bekommt und innere Zufriedenheit bringt.

Das erste Mal Sprossenglas

Am Anfang war die Frage, ob Sie Kresse kennen. Beim Sprossenanbau frage ich: Haben Sie schon mal so einem im Wasser wachsenden Ei zugeschaut, aus dem dann ein Dino, Krokodil oder Einhorn schlüpft? Eigentlich für Kinder gedacht, fasziniert der Vorgang zumindest bei den ersten paar Malen die ganze Familie. Es läuft folgendermaßen ab: Man nimmt das Ei, steckt es in ein Glas mit Wasser, hält es feucht und freut sich wie Bolle, wenn der erste Riss zu sehen ist. Dann kann man es kaum noch erwarten, bis Etwas von dem Tierchen zu sehen ist. Man hegt und pflegt es, schaut beim Wachsen zu und fragt sich: Wann bist du endlich fertig? Irgendwann trifft man die Bauchentscheidung: Jetzt. Beim Ziehen von Sprossen in einem Glas verhält es sich im Prinzip genauso. Ein Unterschied ist, dass Sprossen zum Essen gedacht sind und als vielfältiges und leckeres Mini-Gemüse die Küche wirklich bereichern. Der Anbau ist zwar ähnlich simpel, wie einem Dino beim Schlüpfen zuzuschauen, und doch kann es auch mal schiefgehen. Wenn zum Beispiel zu viele Samen im Glas waren, es nicht feucht oder nicht dunkel genug war. Davon einfach nicht entmutigen lassen, es geht nicht viel verloren. Viel Spaß beim Experimentieren! Wer weiß, vielleicht weckt das bei Ihnen die Lust, kommende Saison in den großen Gartenkosmos einzusteigen.

Lesetipps

Fürstler, Angelika (2016), Sprossen und Mikrogrün; Keimgrün GmbH (2021), Der Microgreens Starter Guide;

gemuesehelden-dierbach.de

„Natürlich gärtnern“ heißt die VielPfalz-Serie. Experten aus der Pfalz geben Tipps, wie der Ein- oder Umstieg zum naturnahen Gärtnern gelingt. Bereits erschienen: Gemüseanbau (Ausgabe 2/2022), Schädlinge und Krankheiten (3/2022), eigenes Saatgut vermehren (4/2022), Bäume und Gehölze pflanzen (5/2022), der Garten im Winter (6/2022), Hühner & Co. im Garten halten (1/2023), Permakultur (2/2023), Wassermanagement (3/2023), das heimische Wildstaudenbeet (4/2023) sowie Bokashi und Kompost (5/2023). Ausblick: Das nächste Mal beschäftigen wir uns mit der Optik eines Gartens.

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Was wissen

Was machen Sommeliers?

In unserer Rubrik zum Thema Weinwissen erläutert Rudolf Litty dieses Mal, warum Sommeliers nicht einfach nur Weinkellner sind. Kaufmännische und repräsentative Aufgaben gehören genauso zu ihrem Alltag.

Foto: Deutsches Weininstitut

Früher waren Sommeliers schlicht Weinkellner. Heute sind sie ausgebildete und zertifizierte Weinfachleute. Der Sommelier ist vor allem in der gehobenen Gastronomie eine Art Berater, der genau weiß, wie man es schafft, Genießern eine außergewöhnliche Erfahrung zu bereiten. Denn sie haben nicht nur ein breites Weinwissen, das unter anderem nationale wie internationale Rebsorten sowie An- und Ausbaumethoden umfasst, sondern wissen auch, welcher Wein oder Sekt mit welchen Speisen bestens harmoniert. Sie unterstützen den Gast also bei der Gestaltung des Menüs inklusive der Getränkeauswahl und führen durch die einzelnen Gänge.

Richtig in die Tiefe gehen

Sommeliers haben ein gutes Gespür für ihre Gäste und passen ihre Ausführungen an. Bei Genussexperten kann es schon mal richtig in die Tiefe gehen. Dann erfährt der Gast etwas zu den unterschiedlichen Ausbaustilen des Winzers: Wurde der Wein im Edelstahltank, im großen Holzfass oder Barriquefass gelagert? Erfolgte beim Rotwein eine malolaktische Gärung? Das heißt, wurde die in den Trauben natürlich gebildete Äpfelsäure in Milchsäure umgewandelt, um ein harmonischeres Geschmacksbild zu haben? Oder wurde der Wein spontan vergoren bzw. erfolgte eine gekühlte Vergärung, was auch die Weinaromen verändert?

Kontrolle der Weinbestände

Neben der direkten Beratung des Gastes und den allgemeinen Kellnerarbeiten kümmert sich ein Sommelier auch um die Verwaltung der Lagerbestände und die Weinauswahl für die Speisekarte. Dazu besucht er Weinmessen, Weinpräsentationen und Weingüter, um über aktuelle Rebsorten und die Qualität der einzelnen Weinjahrgänge informiert zu sein. Da die Weine in den Flaschen weiterreifen und sich dadurch andere Aromen entwickeln, kontrolliert ein Sommelier die Weinbestände regelmäßig sensorisch und beobachtet die Reifeentwicklung.

Sommeliers für Vieles

Inzwischen gibt es auch Sommeliers für andere Getränkearten und Lebensmittel, die Gastronomen, Händler, Gäste oder private Genussmenschen beraten. So haben sich diese Sommeliers zum Beispiel auf Bier, Mineralwasser, Käse, Fleisch oder Brot spezialisiert.

Der Experte

Rudolf Litty ist ehemaliger Mitarbeiter der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz. Beim Weinbauamt Neustadt/Weinstraße war er für die amtliche Qualitätsweinprüfung verantwortlich. Litty, geboren 1951, lebt in Klingenmünster und organisiert Weinseminare.

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Ernährungswandel

Zusammen isst man besser

Die Frage, warum wir uns in Zukunft anders ernähren müssen als heute, ist längst und ausgiebig beantwortet. Wir stellen eine Auswahl an Pfälzer Akteuren vor, die sich um das Wie kümmern, in dem sie konkret vor Ort Wege hin zum Ernährungswandel beschreiten. Allen gemeinsam ist dabei der Gemeinschaftsgedanke. Eine Einordnung.

Foto: Gemüsehelden Dierbach

Der Wille ist da. Laut Ernährungsreport 2023, den das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Oktober vorgestellt hat, ist eines der wichtigsten Ergebnisse, dass sich „viele Verbraucherinnen und Verbraucher gesund und nachhaltig ernähren wollen“. Das stellte bereits vor zehn Jahren die damalige rheinland-pfälzische Landwirtschaftsministerin Ulrike Höfken fest, als sie auf der Grünen Woche in Berlin den Startschuss für „Rheinland-Pfalz isst besser“ gab: „Regionale Produkte werden zunehmend nachgefragt. Mit der Kampagne unterstützen wir diesen Markttrend. Wir werben für die Qualität aus unseren Regionen und gleichzeitig für gutes Essen und Leben.“

Die Frage nach dem Warum

Die Kampagne gibt es heute noch und umfasst mittlerweile mehr als 20 Projekte für Kinder und Jugendliche, Erwachsene, Senioren und benachteiligte Menschen. Dabei geht es vor allem um die Ernährungsbildung. Den Menschen klarzumachen, warum es wichtig ist, sich nachhaltig zu ernähren: Weil wir dadurch gesünder leben, weil es der Umwelt besser geht, weil es Vielfalt fördert, weil wir weniger Lebensmittel wegwerfen, weil es viele Ressourcen spart, weil wir regionale Betriebe unterstützen, weil faire Preise bezahlt werden, weil kein Gift zum Einsatz kommt, weil Tieren artgerechter leben, weil nachhaltige Ernährung – zusammengefasst – sozial, ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist, um langfristig die Ernährung der Weltbevölkerung sicherzustellen. Die grundlegende Botschaft kam in vielen Köpfen an, wie nicht zuletzt der aktuelle Ernährungsreport zeigt.

GEMEINSCHAFT 1 Mit Gleichgesinnten macht die Mission nachhaltige Ernährungswende mehr Spaß. Der Austausch, zum Beispiel beim
Jungpflanzenverkauf bei den Gemüsehelden, ist wichtig. Foto: Gemüsehelden Dierbach

Wie statt Warum!

Nach Jahren, in denen sich die Politik mit dem Warum beschäftigt hat, ist es also an der Zeit, verstärkt nach dem Wie zu fragen. Auf Bundesebene hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir vergangenes Jahr Pläne für eine ganzheitliche Ernährungsstrategie vorgestellt, die in Zusammenarbeit mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft erstellt werden soll. Ziel ist es, eine gute und gesunde Ernährung für alle Menschen zu ermöglichen. Erstmals wurde dafür im Bundestag ein Bürgerrat eingesetzt. Das 160 Mitglieder starke Gremium, darin auch eine Teilnehmerin aus Speyer, trägt den Titel: „Ernährung im Wandel: zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“. Bis Ende Februar 2024 soll der Bürgerrat, der zufällig und dennoch der Bevölkerung entsprechend zusammengesetzt ist, seine Empfehlungen dem Bundesrat vorlegen.

Kurzporträt | Ernährungsrat Südpfalz

Der Ernährungsrat Südpfalz ist ein loser Zusammenschluss unter dem Dach der Bürgerstiftung Pfalz von Menschen, die sich für Ernährung interessieren. Die deutschlandweite Bewegung ist je nach Region unterschiedlich aufgestellt. Gemeinsam ist, Ernährungstransformation vor Ort mitzugestalten.

Zusammen mit Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung sollen Visionen und Maßnahmen für ein regionales, ökologisch und sozial faires Ernährungssystem erarbeitet und umgesetzt werden. Das Ziel lautet also: aus der Südpfalz, für die Südpfalz. Wobei auch klar über die Kreisgrenzen hinausgedacht wird.

Wie 1: gemeinschaftlich handeln

Während in Berlin noch analysiert wird, handeln auf lokaler Ebene bereits viele Initiativen, die sich vor Ort für einen schnelleren Wandel unseres Ernährungssystems einsetzen. „Wir sind eine kleine Bewegung von unten“, sagt Heike Rosmann, Sprecherin des Ernährungsrates Südpfalz. „Doch je mehr sich zusammentun, umso mehr erreicht man.“ Gemeinschaft sei einer der Haupterfolgsfaktoren der Initiativen deutschlandweit, die es geschafft haben, mehr regionale und nachhaltige Produkte in die Einkaufstaschen der Menschen zu bringen. Zu diesem Ergebnis kam „Wertvoll Pfalz“, eine ganz junge Ernährungsinitiative, die sich aus einem Projekt des Vereins „in SPEYERed“ entwickelt hat. Mit „netzwerken“ bringt Ralf Honsberg, Vorsitzender von Slow Food Pfalz, es auf den Punkt, wofür die Organisation bereits seit 19 Jahren in der Pfalz steht.  „Verschiedene Akteure zusammenbringen, gemeinsam denken und arbeiten und mal auf Gewinnerzielungsabsichten verzichten“, sind auch für Melanie und Sven Hildebrand, Gartenberater aus Dierbach, tägliche Leitgedanken. Denn „es muss doch nicht jeder, besonders jede Gemeinde, das Rad neu erfinden. Wieso sollte man sich nicht an bestehende Strukturen andocken können?“, fragt Gabi Gründling, die die Marktschwärmerei in Freinsheim organisiert.

GEMEINSCHAFT 2 Bei regelmäßigen Stammtischen tauschen sich die Mitglieder von Slow Food Pfalz über rund um die Themen regionaler Genuss und Ernährung aus. Foto: Slow Food Pfalz

Erzeuger und Verbraucher vernetzen

Dieses Wie beim Vorgehen, nämlich gemeinschaftlich, verbindet die hier genannten, regionalen Akteure. Dabei kann die Gemeinschaft ganz unterschiedlich aufgebaut sein und doch gemeinsam mit den anderen Gemeinschaften in dieselbe Richtung gehen. Slowfood Pfalz „bringt verantwortungsbewusste Produzenten und Händler mit Verbrauchern zusammen“, berichtet Ralf Honsberg. Auf der Streuobstwiese lernten die Teilnehmer bei einer Veranstaltung zum Beispiel das Team von Purzelbaum kennen, das Cider, Secco und Brände ausschließlich aus Obst von regionalen Streuobstwiesen herstellt. „Oft sind die Produzenten und das, was sie zu erzählen haben, mindestens so interessant wie ihre Produkte.“

On- und offline kombinieren

Davon sind auch die Marktschwärmer überzeugt, die Verbraucher und regionale Erzeuger mit der Kombination aus Online-Shop und Bauernmarkt zusammenbringen. VielPfalz berichtete 2018 ausführlich über die damals einzige Marktschwärmerei in Kaiserslautern. Dieser Artikel motivierte Gabi Gründling aus Weisenheim am Berg, auch in der Vorderpfalz eine Schwärmerei auf die Beine zu stellen. Sie sucht Erzeuger, die sie beliefern, stellt das wöchentlich wechselnde Angebot auf die Online-Plattform, wo Kunden sich dann ihren Einkauf zusammenstellen und direkt bezahlen können. Einmal pro Woche wird die Bestellung bei einem Regionalmarkt übergeben, wo man sich direkt mit den Erzeugern austauschen kann. Sowohl die Bestellungen als auch das Abholen können gemeinschaftlich organisiert werden, zum Beispiel, wenn kein Internetzugang vorhanden ist oder damit nicht jeder selbst zum Abholort fahren muss.

Kurzporträt | Marktschwärmer

Foto: Marktschwärmer Deutschland

Das europaweite Projekt Marktschwärmer startete 2011 in Frankreich, wo es inzwischen mehr als 430 regionale Märkte gibt. Marktschwärmer fördert die regionale Wertschöpfung und eine nachhaltige Esskultur, indem „wir nachvollziehbare und faire Produktions- und Handelsketten schaffen. Wir sehen uns als aktiven Teil einer öko-sozialen Ernährungswende“ heißt es auf der Webseite.

Genau dort stellt das Projekt für Erzeuger einen fairen Vertriebsweg zur Verfügung und ermöglicht Verbrauchern einen transparenten Zugang zu hochwertigen, regionalen Produkten. Das Angebot und die Übergabe steuert jeweils die lokale Marktschwärmerei. 129 geöffnete Schwärmereien in 14 Bundeländern gibt es in Deutschland. Zwei davon sind in der Pfalz. Gabi Gründling betreibt ihre seit 2019 in der Urlaubsregion Freinsheim, wo es mehrere Abholpunkte gibt. In Kaiserslautern ist bereits seit 2017 eine Marktschwärmerei aktiv.

Solidarisch bündeln, bestellen, verteilen

Sprecherin für den Ernährungsrat Südpfalz. Foto: privat

Bei dieser Art des gemeinschaftlichen Handelns setzen auch die „Essbars“ der Wertvoll Pfalz Initiative an, deren Projektträger die Bürgerstiftung Pfalz ist. „Darunter verstehen wir solidarische Ernährungsgemeinschaften. Essbars bündeln, bestellen und verteilen nach Bedarf“, erläutert Elise Kissling. Durch dieses Wir-Gefühl der Gruppe möchte Wertvoll Pfalz Menschen in die Selbstwirksamkeit bringen, da sie erleben, was regionales und nachhaltiges Einkaufen bewirken kann. „Jede Essbar entwickelt sich nach ihren eigenen Bedürfnissen.“ Vier solcher Essbars konnte die Initiative für die Pilotierung gewinnen: die Solawi-Vorderpfalz auf der Großen Erde in Schifferstadt, den Kaufladen in Speyer, den Hofladen Gerbachhof in Bolanden und den Biomarkt Leprima in Bad Dürkheim.

Wie 2: Nachfrage steigern

Nun gilt es, Menschen für die Sache zu gewinnen. Viele Menschen. Das führt zum zweiten Wie, das die Ernährungswende in Gang bringt. Die Nachfrage nach regionalen, fair produzierten Produkten muss gesteigert werden. Hier ist das Zauberwort Motivation. Denn: „Der Mensch ist bequem. Er möchte sein Verhalten ungern ändern“, sagt Marktschwärmerin Gabi Gründling. Sie setzt auf Aufklärung in direkten Gesprächen oder auf klassische Werbung etwa in Form von Flyern. Ein Hauptargument ist, dass regionale Produkte nicht per se teurer sind. „In den Marktschwärmereien machen die Erzeuger die Preise selbst. Ein Salatkopf zum Beispiel, der am Abholtag morgens noch auf dem Feld ein paar Orte weiter stand und ökologisch angebaut wurde, kostet zwischen 1,45 und 1,55 Euro. Wer sagt, das ist zu teuer, hat sich nicht richtig damit beschäftigt. Dass es keine Discounterpreise sein können, ist klar“, führt Gründling aus. Sie sagt auch, dass jede noch so kleine Bestellung der Sache hilft.

Kurzporträt | Wertvoll Pfalz

Die Ursprünge von Wertvoll Pfalz gehen auf inSPEYERed zurück. Ein vom Verein organisierter Vortrag mit dem Vater der Regionalwert AG, Christian Hiß, zum Thema „Anders wirtschaften“ motivierte eine achtköpfige Gruppe, zu prüfen, ob dies nicht ein Modell für die Pfalz sein könnte. Unter der Schirmherrschaft der Bürgerstiftung Pfalz finanzierte die Initiative über eine Crowdfunding-Kampagne eine professionelle Konzeptionsphase. Heraus kam, dass in der Pfalz momentan nicht fehlende Finanzierungsmöglichkeiten das Problem sind, sondern die fehlende Nachfrage aufgrund mangelnder Infrastruktur.

Die Vision lautet nun, einen regionalen Wertschöpfungsraum Pfalz zu schaffen, in dem immer mehr Menschen nachhaltig und im lokalen Verbund arbeiten und gut leben können. Der Ansatz dabei ist auf der einen Seite, solidarische Ernährungsgemeinschaften aufzubauen, in denen Menschen gemeinsam regional und nachhaltig einkaufen. Hier schaffen lokale Betriebe gemeinschaftlich die Strukturen, welche den Weg zum Essenden verkürzen und so die Wertschöpfung für die Betriebe erhöhen.

Mit Grundzutaten kochen

Im Slow-Food-Sinne motiviert die Pfälzer Regionalgruppe die Menschen durch Genusserlebnisse. Es werden beispielsweise bei Kochrunden entstandene leckere Gerichte auf sozialen Kanälen gezeigt. Gekocht wird, was schmeckt, auch mal vegan, aber auch gerne Fleisch, zum Beispiel Wild aus dem Pfälzerwald. Auf dem Blog der Organisation finden sich zudem viele einfache Rezepte. „Viele wissen nichts mehr mit Grundzutaten anzufangen. Doch wenn man das weiß, kann man gesund und nicht teuer leben“, ist der Slow-Food-Vorsitzende Ralf Honsberg überzeugt. Ein anderes ureigenes Projekt von Slow Food international ist die „Arche des Geschmacks“. Unter dem Motto „Essen, was man retten will“ versucht Slow Food, bedeutsame Lebensmittel, Nutztierarten und Kulturpflanzen vor dem Vergessen und Verschwinden zu bewahren. „Da habe ich als Verbraucher eine direkte Möglichkeit, die regionale Wertschöpfungskette zu beeinflussen, indem ich versuche, solche Produkte zu finden und zu kaufen. In der Pfalz wäre dies zum Beispiel das Glanrind. Das ist eine alte Rinderrasse, die verschwunden wäre, wenn sich nicht Slow Food mit Produzenten zusammengetan hätte, um die Rasse zum Beispiel bei den Donnersberger Glanrindwochen zu promoten.“ Durch den Kauf solcher Produkte trage man zur Biodiversität bei.

MARKTSCHWÄRMER Gabi Gründling (links) betreibt zusammen mit ihrem Mann Peter die Freinsheimer Marktschwärmerei. Claudia Lang ist die Gastgeberin
in Kaiserslautern. Foto: Gründling

Hände in die Erde stecken

Artenvielfalt ist auch das Metier von Melanie und Sven Hildebrand. Als „Gemüsehelden Dierbach“ sehen sie sich als Botschafter für gute Ernährung. Auf ihrem mehr als 1000 Quadratmeter großem naturnahen Bio-Garten machen sie ganz praktisch vor, wie man Gemüse selbst anbaut. So wollen sie noch mehr Leute überzeugen, dies zu tun – unabhängig davon, wie groß der Garten ist. „Bei uns steht der Dienstleistungsgedanke im Vordergrund. Mit unserer Erfahrung wollen wir anderen helfen, schneller Erfolgserlebnisse beim Anbau zu haben“, sagt Sven Hildebrand. Dabei gehe es nicht nur darum, „Theorie runterzulabern. Wir möchten, dass die Menschen das Ökosystem Garten verstehen und dann einfach loslegen“. Wer ins Handeln kommt, sieht schnell, was er selbst für sich, seine Ernährung und die Umwelt bewirken kann. „Der Wert eines Gartens wird größer, wenn man selbst darin werkelt. Wir haben eine innere Zufriedenheit dabei gefunden“, erzählt Melanie Hildebrand. „Vielleicht tut es auch anderen gut, die Hände in die Erde zu stecken.“ In ihren Workshops, bei Vorträgen oder auf Märkten geben sie gerne in Gesprächen Anregungen mit. Etwas provokant vielleicht, aber nicht missionarisch: „Irgendwann müssen wir uns nicht mehr fragen, ob Öl auf dem Rhein hochkommt, sondern ob noch ein Wassertropfen aus dem Wasserhahn kommt.“

Kurzporträt | Slow Food Pfalz

„Gut, sauber, fair“ lautet der Slogan von Slow Food Pfalz. „Früher lag der Schwerpunkt eher auf dem Gut. Slow Food ist ursprünglich ein Zusammenschluss von Genussmenschen, die sich dafür interessieren, wo die Produkte herkommen und Wert auf Qualität und Geschmack legen“, beschreibt Ralf Honsberg die Anfänge der internationalen Bewegung. Gegründet wurde Slow Food 1986 in Italien, um sich gegen die industrialisierte Lebensmittelproduktion, dem „Fast Food“, zu stellen und regionale Vielfalt auf dem Teller zu fördern.

Heute sind ,sauber und fair‘ mehr in den Vordergrund gerückt.“ Dabei geht es immer ein Stück um bewussten Konsum, Verbraucher zu ermutigen, „über Produkte nachzudenken und nicht wild im Supermarkt zuzugreifen“. Slow Food ist in Deutschland in lokalen Gruppen, sogenannten Convivien, organisiert, die ihren Schwerpunkt unterschiedlich setzen. Das rund 200 Mitglieder zählende Convivium der Pfalz gehört zu einem der größten in Südwestdeutschland.

Kinder begeistern

„Das Ernährungsverhalten von Erwachsenen zu ändern, ist eines der schwierigsten Vorhaben“, sagt Heike Rosmann, Sprecherin des Ernährungsrates Südpfalz, der ebenfalls unter dem Dach der Bürgerstiftung Pfalz zuhause ist. Rosmann selbst ist Dozentin für Ernährungs- und Verbraucherbildung an der Universität Koblenz-Landau und einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist der „Einfluss der Verbraucherbildung auf das Konsumverhalten“. Mit diesem Hintergrund unterstützt sie gemeinsam mit vielen anderen Südpfälzern aus unterschiedlichen Berufen den Ernährungsbeirat, der vor Ort die Ernährungstransformation mitgestalten möchte. Unter den Mitgliedern sind auch Lehrer, was Heike Rosmann für sehr wichtig erachtet. „Die Gemeinschaftsverpflegung in Schulen und Kitas darf man bei einem Ernährungskonzept nicht außer Acht lassen. Denn auf den Kindern liegt auch unsere größte Hoffnung, da man hier durch Bildungs- und Aufklärungsarbeit noch viel bewirken kann.“ Im Visionspapier der Initiative heißt es deshalb klar: „In allen Schulen sind Theorie und Praxis einer gesunden und zukunftsfähigen Ernährung fest verankert.“

Slow Food Pfalz Vorsitzender Ralf Honsberg. Foto: privat

Erwachsene erziehen

Einige Schulen und Kitas setzen dies in Eigeninitiative bereits um. Oft gehören dabei Gartenanlagen mit zum Projekt. Hier kann Sven Hildebrand wieder ins Spiel kommen. Als Acker-coach im Auftrag des Vereins Acker unterstützt er Kinder und Pädagogen dabei, eine Ackerfläche einzurichten, selbstständig Gemüse anzubauen und ihr Wissen rund um den Gemüseanbau nachhaltig zu erweitern. „In einer Schule im Pfälzerwald begrüßte mich ein Mädchen beim ersten Treffen der Saison mit der Frage: Pflanzen wir auch wieder Gurken?“ Das Kind hat mit Genuss im Vorjahr zur Erntezeit Gurken genascht. Als es keine mehr gab, war es zwar traurig, aber die Gurken aus dem Supermarkt, die die Mama im Herbst besorgte, wollte das Kind auch nicht mehr essen. „Die haben ihr nicht geschmeckt. Sie hat lieber gewartet, bis es wieder Gurken aus dem Schulgarten gibt“, erzählt der Ackercoach gerührt zu Ende. Das zeige ihm zum einen, dass Erwachsenen die Saisonalität durch ein ganzjähriges Überangebot genauso abtrainiert wurde wie der gute Geschmack. Zum anderen aber, dass man viel bewirken kann, wenn Kindern der Wert von guten Lebensmitteln vermittelt wird, denn Kinder erziehen ihre Eltern.

Elise Kissling, Sprecherin bei Wertvoll Pfalz. Foto: privat

Es liegt nicht am Geld

Wenn all die Aufklärungsarbeit fruchtet und mehr Menschen sich für regionale und nachhaltige Produkte interessieren, bleibt die Frage: Warum kommt der Wertschöpfungskreislauf nicht zu Stande? Darauf Antworten zu finden, war Teil einer professionellen Konzeptionsphase, die durch Crowdfunding ermöglicht wurde. Das Ergebnis: „Es liegt nicht am Geld und nicht am Willen und den Ideen der Landwirte und Betriebe, denn viele Produzenten sind im Überlebenskampf und versuchen händeringend, so viel wie möglich direkt zu vermarkten. Es fehlt an Verbraucherstrukturen, die eine zuverlässige, stabile Nachfrage sicherstellen“, fasst Kissling zusammen.

Kurzporträt | Gemüsehelden

Foto: Gemüsehelden Dierbach

Vor zwei Jahren haben sich Melanie und Sven Hildebrand als „Gemüsehelden Dierbach“ selbstständig gemacht. Als Mentoren unterstützen sie Gärtner dabei, einen klimaresilienten Garten zu gestalten, der nachhaltig und biologisch ist, sowie gesundes und vielfältiges Gemüse hervorbringt. Während die Hauptmotivation ihrer Kunden zunächst darin lag, sich selbst mit Gemüse zu versorgen und Geld zu sparen, sind nun Gesundheits- und Umweltaspekte in den Vordergrund getreten.

Die beiden Macher schätzen den Austausch im Netzwerk und den lebenslangen Lernprozess. Dadurch passen sie ihr eigenes Handeln und Konzept immer wieder an. Aus Gartenberatung mit Fokus auf Gemüseanbau wurde schnell eine ganzheitliche Gartenplanung inklusive Zubereitungs- und Verarbeitungstipps der Ernte, sie organisieren Events und Workshops mit anderen Pfälzer Lebensmittelproduzenten und laden zu Kulturveranstaltungen in ihren Garten. Abokisten mit Gemüse aus ihrem Garten soll es zunächst nicht mehr geben, da sie das Angebot zuerst klimagerechter gestalten möchten.

Wie 3: Infrastruktur schaffen

Das ist das dritte gemeinsame Wie auf dem Weg zu nachhaltigen Essgewohnheiten: für passende Infrastruktur sorgen. Dies muss auf zwei Ebenen geschehen. Zunächst gilt es, mehr regionale Produkte überhaupt anzubieten. „Unsere Analysen haben gezeigt, dass es erschreckend wenig Lebensmittel gibt, die 100 Prozent Pfalz sind. Also hier angebaut, verarbeitet, abgefüllt und vermarktet werden. Wenn, dann sind es kleine Betriebe aus dem Obst- und Gemüsebereich“, sagt Elise Kissling. Zumindest beim Obst-, Gemüse- und Ackerbau ist die Pfalz gut aufgestellt. Doch werden die Erzeugnisse oft direkt außerhalb der Region vermarktet, zur Weiterverarbeitung oder zum Verpacken quer durch die Republik gefahren, bevor sie in der Pfalz verkauft werden. Andere Lebensmittel werden in der Region erst gar nicht hergestellt und so „fehlt es an Produkten, um sich mit allem regional versorgen zu können“, sagt Ralf Honsberg. „Aktuell läuft genau dazu ein Forschungsprojekt an der Uni Landau zur Fragestellung: Kann sich die Region von sich aus ernähren? Und zwar mit sozial und ökologisch gerecht hergestellten Lebensmitteln“, fügt Heike Rosmann vom Ernährungsrat Südpfalz hinzu. Während der Slogan der Initiative „Aus der Südpfalz für die Südpfalz“ lautet, umfasst das Forschungsprojekt sämtliche Regionen in Rheinland-Pfalz. „Wenn wir über regionale Produkte sprechen, stellt sich auch immer die Frage, was eine Region oder regional überhaupt ist“, sagt Rosmann.

LECKER Mit regionalen Grundzutaten lassen sich schmackhafte Gerichte zaubern. Dies ist weder teuer noch kompliziert. Foto: Gemüsehelden Dierbach

Wege verringern

Die Ergebnisse aus der Forschung werden im Frühjahr 2024 veröffentlicht. Wenn es prinzipiell möglich ist, dass eine Region sich selbst ernährt, bleibt die Herausforderung, die Produkte den Verbrauchern einfach zugänglich zu machen. „Es ist doch der Wahnsinn, wenn man zum Beispiel in Ruchheim, das von Feldern umgeben ist, kein Gemüse aus Ruchheim kaufen kann, weil die Vertriebsstrukturen fehlen“, gibt Gabi Gründling von den Freinsheimer Marktschwärmern zu bedenken. Einer der wenigen Betriebe, die dies seit kurzer Zeit möglich machen, ist der Gemüsehof Schuch, der die Marktschwärmerei beliefert und das Prinzip dahinter aufgreift – online bestellen, vor Ort abholen. Einige Landwirte bieten inzwischen Gemüsekisten im Abo an oder stellen Verkaufsautomaten auf. „Es ist aber ökologisch auch nicht sinnvoll, wenn alle quer durch die Pfalz zum Bauern fahren“, gibt Ralf Honsberg von Slow Food zu bedenken. Oft reicht eine Fahrt auch nicht aus, da man bei dem einen Landwirt nur Gemüse, beim anderen die Milch, beim dritten Obst und beim Bio-Metzger das Fleisch bekommt. „Es ist schwierig mit dem Sortiment des Hofladens seine Gerichte zu planen, weil vorher nicht weiß, was es zu meinem Einkaufszeitpunkt gibt. Muss ich für so etwas Simples wie Zwiebeln doch auf Supermarktware zurückgreifen?“

UNKOMPLIZIERT Regionale Lebensmittel müssen verlässlich und auf einfachen Weg direkt den Verbraucher erreichen. Zum Beispiel durch zentrale Ausgabestellen oder Lieferservices. Foto: Marktschwärmer Deutschland

Erzeuger mit einbeziehen

Die Marktschwärmerei versucht dem gerecht zu werden, indem sowohl Grundzutaten als auch Produkte im Angebot sind, die es nicht im Supermarkt gibt, wie zum Beispiel Quitten. „Ich bin selbst meine beste Kundin, wenn ich überlege, wo ich für die Sachen überall hinfahren müsste“, zeigt sich Gründling immer noch begeistert von dem Konzept. Auch die Essbars von Wertvoll Pfalz zielen darauf ab, Verbrauchern am Supermarkt vorbei einen simplen, gebündelten Zugang zu regionalen Lebensmitteln zu ermöglichen. Hinter der Koordination der Verbraucher steht noch jene der Erzeuger. „Das ist der zweite wichtige Aspekt unserer Initiative“, sagt Wertvoll-Pfalz-Mitinitiatorin Elise Kissling. „Wir möchten Betriebe zusammenbringen, die Strukturen für regionale Vielfalt und Nachhaltigkeit schaffen. Das heißt Höfe, Verarbeiter und Logistiker arbeiten kooperativ und solidarisch zusammen.“

Druck wegnehmen

VERNETZT I Bei den Marktschwärmern kaufen Kunden online ein und kommen beim Regionalmarkt mit Erzeugern ins Gespräch. Foto: Marktschwärmer Deutschland

Einen solchen wichtigen Player gibt es mit dem Hof am Weiher in Albessen bereits. Ihn konnte die Initiative für ihre Essbars und die Experimentierphase gewinnen. „Er ist der ideale Partner, weil es ein Zusammenschluss von Biolandwirten ist, wo schon eine Infrastruktur mit Kommissionierung und Logisitik besteht.“ Der Bioland-Betrieb wird seit 2001 als Aktiengesellschaft nachhaltig bewirtschaftet und die Vermarktung der Produkte läuft über die Erzeugerzusammenschlüsse Öko-Marktgemeinschaft Saar-Pfalz- Hunsrück und Kornbauern. Sie beliefern wiederum den regionalen Groß- und Einzelhandel. Der Hof am Weiher begreift „Landwirtschaft als gesamtgesellschaftliche Kulturaufgabe“ und hat die Aktiengesellschaft als Betriebsform, „weil eine einzelne Landwirtsfamilie völlig überfordert ist, wenn sie alle Forderungen nach einem umwelt- und tiergerechten Wirtschaften alleine zu tragen hat.“ Der wirtschaftliche Druck, dem diese Betriebe momentan ausgesetzt sind, spielt in einem Ernährungskonzept der Zukunft eine wichtige Rolle. Den Erzeugern den Druck durch gesteigerte Nachfrage zu nehmen, ist ebenfalls ein Anliegen der Pfälzer Ernährungs-Initiativen.

Was tun

„Wenn sich die Ernährungsumgebung nicht ändert, nutzt das beste Ernährungskonzept nichts“, fasst Ernährungsrätin Heike Rosmann zusammen. „Die Verhältnisse zu ändern, bewirkt mehr als auf das Verhalten der Verbraucher zu setzen.“ Dennoch helfe es natürlich, wenn sich jeder schon vorab auf regionale, nachhaltige Produkte besinnt. „Es gibt so tolles Wintergemüse. Wir brauchen im Dezember keine Tomaten aus Spanien“, führt sie als Beispiel an, wie man mit kleinen Dingen starten kann. „Es ist ein Marathon, kein Sprint“, sagt Melanie Hildebrand. Für Verbraucher und für alle, die sich für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft engagieren. „Man muss auch seine eigenen Ressourcen einteilen und immer wieder ein Scheibchen Motivation nachlegen.“ Dann hat man die Ausdauer, weiterzugehen. „Solch ein Wandel steht und fällt mit der Bereitschaft aller Teilnehmer, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Elise Kissling. Die Vision von Wertvoll Pfalz ist daher: „Dass sich Essende und Betriebe gemeinschaftlich auf den Weg machen, dass es ein gemeinsam getragenes Wirtschaften gibt, dass nicht in Konkurrenz sondern transparent und solidarisch geschieht. Wenn es bei der Ernährung gelingt, eine neue Wertschöpfung zu etablieren, kann das auf andere Wirtschaftszweige übertragen werden.“ Es passiere so viel, man könne viel effizienter vorgehen, wenn man sich vernetze.

VERNETZT II Bei einer gemeinsamen Veranstaltung des Ernährungsrates mit den Gemüsehelden
gibt es viele Rezeptideen für saisonale und regionale Gerichte. Foto: Gemüsehelden Dierbach

Viele Bausteine, ein Haus

Womit wir wieder beim ersten „Wie“ wären: gemeinschaftlich handeln und lernen. Die Ernährungswende wird in der Pfalz von vielen Akteuren vorangetrieben, so vielen, dass hier nicht alle zu Wort kommen können. Beispielhaft seien die Solidarischen Landwirtschaften in Neustadt und der Vorderpfalz genannt oder die Landfrauen, die nach wie vor ein wichtiges Bindeglied zur Agrarwirtschaft sind, oder die Foodsharing- Gruppen, allen voran Kaiserslautern, das zur ersten Pfälzer Foodsharing-Stadt wird. Sie alle befassen sich – Großteils ehrenamtlich – mit dem Wie. Wie ändern wir Gewohnheiten, Strukturen, Denkweisen? Wie kann sich die Pfalz in der Zukunft selbst ernähren? Wie gelingt eine neue Wertschätzung für Lebensmittel? Das machen sie nicht in Konkurrenz und nebeneinander, sondern zusammen. Jeder als ein Baustein, der zum Aufbau eines gemeinsamen Ernährungshauses beiträgt. Und wichtig im Sinne Cem Özdemirs: Keine der Pfälzer Ernährungs-Initiativen möchte jemandem vorschreiben, was auf seinen Teller kommt. Sie möchten einladen und Möglichkeiten schaffen, für alle, die sich für diesen Weg entscheiden. Denn jeder Mensch hat das Recht, sich gesund zu ernähren.

Elise Kissling, Wertvoll Pfalz, Bürgerstiftung Pfalz, Regionalwert AG
Heike Rosmann, Bürgerstiftung Pfalz, Ernährungsrat
Melanie und Sven Hildebrand, Gemüsehelden Dierbach
Gabi Gründling, Marktschwärmerei Freinsheim
Ralf Honsberg, Slowfood Pfalz

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Veranstaltungs­tipps

Tipps für Genuss-Events in der Pfalz: Das VielPfalz-Team recherchiert für Sie empfehlenswerte Veranstaltungen in der Pfalz, die vielfältigen Genuss versprechen – von der Weinprobe über die Städteführung bis zum Fest, Markt oder Konzert. Welches Event Sie auch immer anspricht, wir wünschen Ihnen viel Spaß dabei!

Weinstöberei

Terroir trifft Scheurebe

Würzig, mineralisch und mit lebendiger Säure – die kühle Nordpfalz bringt Terroir-Weine mit hohem Reifepotenzial hervor. Die Brüder Stephan und Georg Schwedhelm verknüpfen Scheurebe mit den Stärken des Zellertals. So interpretieren sie die Bouquet-Rebsorte neu.

Foto: Weingut Schwedhelm/Simon & Paul

Das nördlichste Kleinod der Pfalz ist das Zellertal. Die vorwiegend mit Kalk- und Tonmergel durchzogenen Weinlagen der Region sind aktuell in der Weinszene in aller Munde. In Zellertal-Zell ist das Weingut von Georg und Stephan Schwedhelm beheimatet. Die Brüder haben es sich zum Ziel gesetzt, ihren Weinen die Handschrift der Region zu geben. Hierbei setzen sie ihren Fokus primär auf Riesling und Burgunder, da sich bei diesen Rebsorten das Terroir hervorragend herausarbeiten lässt. Welches Potenzial in alten Scheurebe-Weinbergen schlummert, zeigen die Brüder mit ihrem neuen Weißwein: einer Scheurebe Schwarzer Herrgott.

100 Prozent Handarbeit

Der „Schwarze Herrgott“, eine der ältesten deutschen Weinlagen, liegt mitten im Herzen des Zellertals. Auf einem knapp 300 Meter hohen Plateau aus Kalkfels thront eine besondere kleine Parzelle. Der Weinberg ist von einer Kalksteinmauer eingerahmt und liegt rund um das Kreuz, worauf der Name der Lage zurückgeht. Hier ist 100 Prozent Handarbeit gefragt. In der Parzelle wachsen unter anderem 60 Jahre alte Scheurebe-Reben. Aufgrund des Alters tragen diese Reben nur wenige Trauben. Geschmacklich bringen sie eine intensive Mineralik mit sich.

Wartezeit zahlt sich aus

2021 erntete Stephan Schwedhelm erstmalig eine überschaubare Menge an Scheurebe-Trauben. Den Most vergor er spontan mit ganzen Trauben in einem gebrauchten Barriquefass. Es folgten eine zwölfmonatige Reifephase auf der Vollhefe im Holzfass und ein weiteres Jahr Flaschenreife. Die lange Wartezeit zahlt sich aus. Die 21er Scheurebe Schwarzer Herrgott zeigt sich mineralisch, mit einem Hauch von fruchtiger Aromatik der Scheurebe. Am Gaumen ist der Wein saftig, salzig, erdig, mit feiner Säurestruktur und nachhaltigem Abgang.

Eleganter Essenbegleiter

Er zeigt, dass eine trockene Scheurebe auch Reifepotenzial haben kann. Nicht nur solo kann die Scheurebe punkten, sie ist auch ein eleganter Essensbegleiter. Georg Schwedhelm würde die Scheurebe mit etwas Cremigen kombinieren, etwa einem Pilzrisotto an Schweinelende.

2021 Scheurebe Schwarzer Herrgott | 0,75 Liter | 29 Euro | Weingut Schwedhelm, Zellertal-Zell | schwedhelm-zellertal.de

Inga Klohr. Foto: Adlumina/Ralf Ziegler

Die VielPfalz-Weinstöberei

Besondere Cuvées oder ein spontan vergorener Literriesling – unter Pfälzer Weinen gibt es immer Spannendes zu entdecken. Weinstöberei heißt die Rubrik, in der Inga Klohr (geb. Storck) empfehlenswerte Weine vorstellt. Die Pfälzische Weinkönigin 2017/2018 und Deutsche Weinprinzessin 2018/2019 macht sich für VielPfalz auf die Suche nach besonderen Tropfen. Sie absolvierte den Dualen Studiengang Weinbau und Önologie am Weincampus in Neustadt an der Weinstraße und arbeitet als Winzerin.

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Pfälzer Szenen von Karin Mihm

Än Aagebligg

Die farbenfrohen, lebendigen Momentaufnahmen voller Licht und Leichtigkeit zeichnet die Künstlerin Karin Mihm exklusiv für VielPfalz. „Än Aagebligg“ startet, passend zur Vorweihnachtszeit, mit einem Blick in die Nikolausgasse in Speyer.

Breite Zeichenpalette

© Karin Mihm

Karin Mihm, Jahrgang 1966, hat in Gießen und Marburg studiert. Einige Jahre lebte sie in Berlin, bevor es sie 2003 nach Düsseldorf zog, wo sie bis heute lebt. Ihr künstlerisches Werk reicht von Comics für Kinder und Erwachsene über politische Karikaturen, Illustrationen und Zeichnungen bis hin zur Malerei. Unter anderem ist sie die Erfinderin von „Motte“. Der kleine, graue Mischlingshund entwickelt sich vom Dauer-Pechvogel zum Alltagshelden. Mittlerweile gibt es mehr als 1000 Strips und zwei Bücher von und mit ihm.

Humorvolle Perspektive

Karin Mihms Arbeiten sind aus zahlreichen Ausstellungen sowie Veröffentlichungen auf Postern, Postkarten und in mehreren überregionalen Tageszeitungen bekannt. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit sind Zeichnungen von Städten und Landschaften. So entstanden ihre Momentaufnahmen unter anderem in London, Paris und natürlich Düsseldorf. Die berühmte Altstadt oder der Rhein, an dem Karin Mihm fast täglich spazieren geht, sind hier beliebte Motive. Eines haben sie alle gemeinsam: Sie werden mit lockerem Tuschestrich und Aquarellfarben angefertigt. Karin Mihms Ziel: typische Orte zeichnen und dabei eine liebenswerte und humorvolle Perspektive einnehmen. In der Pfalz hat sie dazu eine große Auswahl.

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Pfälzer Handwerk

Mit Fingerspitzengefühl

Sie biegen Holz, flechten Weiden, bemalen Glas oder binden Bürsten. Kurz: Sie erhalten typische Pfälzer Handwerkskunst und somit Schätze der Region. Die Menschen hinter den alten Handwerksberufen wie Küfer oder Korbflechter sind mit der Region genauso verwurzelt wie ihre Produkte. Sie stehen im Kontrast zu unserer schnelllebigen, maschinellen Welt, denn sie sind von Hand gemacht fürs Leben. Mit Leidenschaft und modernen Ansätzen soll das zünftige Handwerk in der Pfalz fortbestehen.

Foto: Norman Krauß

Der warme, wohlige Duft von Holz liegt in der Luft. Es ist laut. Hier singt eine Säge, dort fliegen Funken. Mittendrin Küfer Jonas Eder. Für den gebürtigen Bad Dürkheimer gibt es keinen schöneren Ort zum Arbeiten als genau hier. In seiner Heimat. „Holz ist für mich ein unfassbar toller Werkstoff: wie es auf seine natürliche Art direkt vor unserer Haustür wächst, wie man genau schauen muss, dass man es wertig verarbeitet …“, kommt der 29-Jährige ins Schwärmen. Schon als kleiner Junge zieht es ihn mit seinem Großvater in die Werkstatt. Der Wunsch, selbst einmal im Familienunternehmen mitzuarbeiten, wächst, obwohl das traditionsreiche Handwerk des Küfers mittlerweile zu den seltensten zählt. Bundesweit gibt es jährlich etwa eine Handvoll Auszubildende. Ein Grund dafür sei sicherlich, dass die Bereitschaft zu körperlich anstrengender Arbeit abnehme, aber auch der geringe Verdienst, meint Jonas Eder. Ungefähr 1500 Euro brutto pro Monat bekommt ein Geselle im Küferhandwerk.

PRÄZISE Ein Mitarbeiter der Küferei Eder fräst eine Nut. Sie ist entscheidend, um die einzelnen Fassdauben miteinander zu verbinden. Foto: Norman Krauß

Vom Gesellen zum Geschäftsführer

Jonas Eder hielt dennoch an seinem Traum fest. Seine Ausbildung absolvierte er in einer anderen Küferei in der Pfalz, ging dort durch die „alte, harte Schule“, wie er selbst sagt. Das bedeutet viel schweißtreibende Handarbeit, wenig Automatisierung. Lehrreiche Jahre nennt Eder diese Zeit und ist dankbar für die Erfahrungen, die er dort sammeln konnte und die ihn zu dem gemacht haben, was er heute ist: stolzer Unternehmer mit handwerklichen Wurzeln und obendrauf einem Studium als Holztechnikingenieur. Denn nach seiner Ausbildung entschied sich der Pfälzer, nach Rosenheim zum Studieren zu gehen, um sein Wissen rund um Holz und Maschinen zu vertiefen. Seit Oktober 2022 ist er neben seinem Vater und Onkel Geschäftsführer der Eder GmbH in Bad Dürkheim. „Ich finde es besonders wertvoll, mit so vielen verschiedenen Menschen in unserer Branche zu tun zu haben. Ich liebe die Regionalität sowie durch meine Zusammenarbeit mit den Winzern, Einblicke in die lokale Kultur des Weins zu bekommen“, erzählt Jonas Eder und fügt schmunzelnd und mit Stolz hinzu: „Manchmal fühlt es sich schon fast so an, indirekt den Wein mitzugestalten.“ Denn heute wie damals machen den Hauptteil der Produktion der Küferei Weinfässer aus. Die Geschichte der Fässer ist traditionsreich. 

Berühmte Pfälzer Fässer

Der Begriff Küfe/Kufe bezeichnet im ursprünglichen Sinne einen Kübel oder Eimer aus Holz. Bereits in der römischen Kaiserzeit verschickte man Wein überwiegend in Holzfässern. Wie dem Buch „Geschichte des Pfälzischen Handwerks“ zu entnehmen ist, das anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Handwerkskammer der Pfalz im Jahr 2000 erschienen ist, wurden schon um 1416 auch in der Pfalz von Speyer aus 8000 Fuder Wein in den Handel gebracht. So ist bereits damals von einer umfangreichen Tätigkeit von Küfern entlang der Haardt auszugehen. Der Beruf des Küfers zählt also zu einem der ältesten Handwerksberufe der Pfalz und war jahrzehntelang sehr gefragt. Zwei überdimensionale Exponate sind sogar über die Grenzen der Pfalz hinaus als Symbole des Pfälzischen Küferhandwerks bekannt geworden: das Heidelberger Fass aus dem 17. Jahrhundert und das jüngere Bad Dürkheimer Riesenfass. 1934 wurde es von dem Bad Dürkheimer Weinguts­besitzer und Küfer­meister Fritz Keller in traditioneller Herstellungsweise gebaut und ist mit einem Durchmesser von 13,5 Metern das größte Fass der Welt.

Das Pfälzer Handwerk

Seit 1953 gibt es eine Handwerksordnung in der Pfalz. Zu diesem Zeitpunkt waren noch alle Handwerksberufe zulassungspflichtig. Heute arbeiten rund 84.000 Menschen in 18.588 Handwerksbetrieben in der Pfalz (Stand 31.12.2022) berichtet Ellen Thum, Leiterin der Pressestelle der Handwerkskammer der Pfalz. „Spuren handwerklicher Tätigkeit reichen weit zurück bis in ur- und frühgeschichtliche Epochen. Wo Menschen lebten oder zusammenlebten, produzierten sie etwas mit ihren Händen. Auf dem Gebiet der heutigen Pfalz beispielsweise in der Gegend um Eisenberg gibt es bereits aus römischer Zeit Belege für die Gewinnung und Verarbeitung von Eisen“, erzählt Barbara Schuttpelz, Abteilungsleiterin für Pfälzische Volkskunde und stellvertretende Direktorin des Instituts für Pfälzische Geschichte und Volkskunde in Kaiserslautern. Außerdem seien Werkzeugfunde aus dem 2. bis 4. Jahrhundert n. Chr. von mehreren heute pfälzischen Orten wie Geinsheim, Bad Dürkheim oder Waldfischbach bekannt.

Unentbehrliche Berufe

„Handwerker waren seit jeher unverzichtbar für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung von den kleinsten Gemeinden bis in die Städte. Die vielfältigen Handwerksberufe bildeten zum einen die Lebensgrundlage für die Ausübenden, zum anderen dienten sie der Deckung des Bedarfs an Produkten des täglichen Gebrauchs für Stadt- und Landbevölkerung“, sagt Barbara Schuttpelz. „Neben Küfern waren viele andere Handwerker wie Schmiede, Bürstenmacher, Gerber, Metzger, Brauer, Bäcker, Zimmerleute oder Schneider unentbehrlich und übten jeder für sich eine wichtige Funktion im gesellschaftlichen Gefüge aus.“ Im Mittelalter bildeten sich in Städten wie Speyer oder Kaiserslautern die Zünfte, in denen die Handwerker organisiert waren und die ihnen einen erheblichen Einfluss innerhalb des Stadtgefüges sicherten. Im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert sei zu beobachten, dass Handwerksberufe immer weiter zurückgingen – die maschinell gefertigten Produkte waren einfach schneller und kostengünstiger herzustellen und zu vertreiben.

Des Küfers Arbeit

Zurück in die Werkstatt von Jonas Eder. Auch im Küferhandwerk werden heute wesentlich mehr Maschinen eingesetzt. Kleinfässer werden zum Beispiel fast vollständig automatisiert hergestellt, um die Erhöhung der Produktivität zu ermöglichen und der Nachfrage gerecht zu werden. Küfer müssen sich also auch mit Maschinen auskennen und programmieren können. Doch die Arbeit von Hand hat nach wie vor großen Stellenwert. Zu den Hauptaufgaben des Küfers zählen die Herstellung, die Instandhaltung und die Reparatur von Holzfässern. Benötigt werden hierfür eine genaue Kenntnis der geeigneten Holzsorten sowie präzises Arbeiten. „Das Eichenholz trocknet teilweise drei Jahre an der Luft bevor wir die ausgewählten, gealterten Eichenplanken zu Dauben zurechtschneiden“, erklärt Küfer Jonas Eder. Danach werden sie innerhalb eines Metallreifens angeordnet. Durch die Bearbeitung mit Feuchtigkeit und Hitze biegen sich die Holzdauben schließlich zur typischen Fassform. Mit weiteren Reifen versehen, landet das Fass schließlich beim so genannten Toasting. Hierbei wird es aufs Feuer gestellt und „angeröstet“. Je nach Intensität und Dauer sowie der Holzart treten durch diesen Prozess später Aromen wie Vanille, Karamell, Kokos, Kaffee oder Tabaknoten gepaart mit weiteren Holzaromen unterschiedlich stark im Wein auf. Das Holzfass und die Arbeit des Küfers beeinflussen also maßgeblich den Geschmack dessen, was später im Fass gelagert wird. Um den Rauchgeschmack zu mildern, wird das Fass mit Wasser gefüllt und so gleichzeitig auf seine Dichtigkeit geprüft. Erst ganz zum Schluss folgt der Boden. 

INDIVIDUELL Während Kleinfässer fast komplett automatisiert hergestellt werden, ist bei größeren Modellen noch viel Handwerk gefragt. Die Größe und die Auswahl des Holzes hängen davon ab, was später in den Fässern reifen darf: Wein, Whiskey, Bier oder andere Spirituosen. Foto: Norman Krauß

Der Fässer-Kreislauf

Rund 50.000 Fässer, neue und gebrauchte durchlaufen jährlich die Firma Eder. Im Familienbetrieb in Bad Dürkheim arbeiten etwa 50 Mitarbeiter. Ursprünglich waren es einmal acht. Besonders stolz ist das Unternehmen darauf, dass die gesamte Wertschöpfung im eigenen Haus stattfindet. Neben einem Sägewerk zählen eine Schreinerei sowie die Küferei dazu. „Bei der Produktion unserer Fässer legen wir Wert darauf, Holz, primär Eichenholz aus unserem heimischen Pfälzerwald, selbst und nach unserem Standard einzuschneiden. Eine jahrelange und natürliche Trocknung in unserem Lager erhöht die Strapazierbarkeit und Qualifikation des Holzes der späteren Holzfässer für Wein, Bier und Spirituosen“, erklärt Jonas Eder. Während zum beliebten Barrique-Ausbau Küfer relativ kleine Eichenholzfässer mit 225 Litern Fassungsvermögen herstellen, werden mittlerweile auch Großfässer bis zu 20.000 Litern sowie Saunen, Badebottiche, Möbel oder dekorative Fässer im Unternehmen in Bad Dürkheim produziert. Die Auftraggeber kommen zwar primär aus der Region, aber auch internationale Bestellungen nehmen zu. So stehen inzwischen Holzfässer made in Dürkheim in Frankreich, Kanada, China oder Taiwan.

Ein langlebiges Produkt

Großgeschrieben werden im Unternehmen auch Recycling und Nachhaltigkeit. Gebrauchte Weinfässer werden aufgearbeitet und sind bei Bierbrauern und Whisky-Destillerien zur Veredelung ihrer Produkte begehrt. Sind die Fässer irgendwann zu marode, bauen die Schreiner sie auseinander und verarbeiten sie beispielsweise zu Gartenmöbeln. „Nachhaltiges, Umwelt und Ressourcen schonendes Arbeiten ist ein großes Thema“, erklärt Eder, der generell positiv in die Zukunft blickt. „Ein wichtiger Faktor wird sein, flexibel zu bleiben und Holz in seiner Beschaffenheit als Naturprodukt zu respektieren“, ist er sich sicher. Dass Deutschland strenge Waldgesetze verfolgt, unterstützt der Küfer und arbeitet eng mit hiesigen Förstern aus nachhaltiger Forstwirtschaft zusammen. Auch optimale Kundenbetreuung sei ein wichtiger Baustein. „Wir führen vorab bereits intensive Gespräche, damit wir bei der Produktion individuell auf die Wünsche unserer Kunden eingehen können und sie möglichst lange etwas von den Produkten haben“ – auch das sei nachhaltiges Denken.

VERSIERT Korbflechten zählt zu den ältesten Handwerkstechniken der Menschheit. In der Pfalz flicht Edmund Gehrlein bereits in der siebten Generation Körbe und gibt sein Wissen in Kursen weiter. Foto: Norman Krauß

Edmund Gehrlein, der Korbflechter

Ohne Zweifel fortwährend im positiven Sinne ist auch das Tun von Korbflechter Edmund Gehrlein. Dass sein Handwerk, das zu einem der ältesten der Menschheit zählt, nicht in Vergessenheit gerät, ist ihm ein großes Anliegen. Körbe flechten hat in seiner Familie Tradition und so war für den heute 74-Jährigen schon als kleiner Junge klar, dass er ebenfalls in die Fußstapfen seiner Vorfahren treten will. „Mich fasziniert, dass dieser Rohstoff, die Weiden, bei uns in den Rheinauen vor der Haustür wächst und ich aus ihm an einem Tag ein Gefäß herstellen kann, mit dem man mehr als 60 Jahre Freude hat“, sagt Edmund Gehrlein, dessen Leidenschaft für sein Handwerk aus seinen Augen blitzt. Bereits in siebter Generation flicht der Pfälzer Körbe. Während sein Großvater noch eine Korbflechter-Werkstatt im pfälzischen Westheim mit 18 Angestellten betrieb, wusste Edmund Gehrlein, dass er vom Flechten und dem Verkauf der Körbe allein nicht mehr leben könnte. Doch auch wenn er sein Geld später als Gärtner verdiente, blieb das Korbflechten immer ein großer Teil seines Lebens. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin ist der Westheimer heute noch auf Gartenschauen, Handwerks- oder Bauernmärkten unterwegs.

Eins der ältesten Handwerke

„Korbflechten zählt neben Schmieden wohl zu den ältesten Handwerkstechniken und ist bereits seit über 10.000 bis 12.000 Jahren bekannt. Das belegen unter anderem Funde aus dem Mittelmeerraum“, sagt Volkskundlerin Barbara Schuttpelz. Schon in der Frühzeit nutzten Menschen Zweige oder auch Fasern, um mit ihren Händen Gegenstände zu fertigen. Nach und nach wurden die Techniken verfeinert. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts stellten die Korbmacher aus regionalen Materialien hauptsächlich Körbe für den täglichen Bedarf her: zum Transport, für die Ernte, die Wäsche oder den Einkauf. Damals wurden fast in jedem Haushalt Körbe geflochten. Aber auch einer der heute weltgrößten Chemiekonzerne hatte laut Gehrlein große Nachfrage für die Naturprodukte: „Wenn Chemikalien in Glasballons transportiert wurden, dann wurden diese Ballons in Weidenkörben geschützt“, erinnert er sich. Damals gab es hier in der Region hunderte Korbmacher in mehreren Betrieben. Der große Einbruch kam mit der Einführung des Kunststoffes in den 1960er-Jahren und der Massenproduktion. Die Körbe, die Gehrlein heute anfertigt, dienen meist zu Dekorationszwecken oder wie seine gefragten Kaminholzkörbe quasi als hochwertiges Möbelstück.

Die letzten ihrer Art

Die uralte Technik des Flechtens erfordert Kraft und Fingerspitzengefühl zugleich – ganz ohne Maschinen. Heute beherrschen nur noch wenige Menschen diese Kunst. Edmund Gehrlein zählt in Deutschland zu einem der letzten gelernten Korbflechter, die die Tradition weitergeben. Von drei staatlichen Berufsfachschulen für Flechtwerkgestaltung in den 1960er-Jahren gibt es noch eine im bayrischen Lichtenfels, an der man das Handwerk erlernen kann. Doch es bewegt sich wieder was: Auch verschiedene Museen wollen die Kunst des Korbmachens bewahren und bieten Anfängerkurse für Laien an, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuen. Ein Zeichen, dass die Wertschätzung des Handwerks wahrgenommen wird. Auch die Volkskundlerin Barbara Schuttpelz begrüßt diese Entwicklung und hält es für notwendig, dass alte handwerkliche Kulturtechniken und das Wissen um sie gepflegt, bewahrt und weitergegeben werden. „Dass es prinzipiell als wichtig angesehen wird, alte Handwerkstechniken zu erhalten und weiterzugeben, spiegelt sich unter anderem auch darin, dass einige bereits von der Deutschen Unesco-Kommission in das bundesweite Verzeichnis ,Immaterielles Kulturerbe‘ aufgenommen wurden, beispielsweise Flechthandwerk, Handweberei, Bierbrauen, Drechslerhandwerk oder Glasbläserei“, erklärt sie und führt fort: „Bei der Herstellung von Gebrauchsgegenständen beispielsweise in Heimat- und Freilichtmuseen kann man sich klar vor Augen führen, welche Schritte, Materialien, Fertigkeiten und vor allem welcher Zeitaufwand erforderlich waren und sind, um ein Ergebnis zu erhalten.“

BEGEHRT Früher wurden Körber fast in jedem Haushalt geflochten. Heute haben wieder mehr Menschen Interesse an der Kunst des Korbmachens und handwerklich hergestellten, robusten Körben. Foto: Norman Krauß

Die Kunst des Flechtens erlernen

Die handwerklich hergestellten Gegenstände faszinieren den Betrachter nicht nur, sie sind zumeist auch haltbarer und nachhaltiger als industriell produzierte Erzeugnisse. Genau dieses Ziel verfolgt Edmund Gehrlein mit seinen Flechtkursen. Diese Kurse beginnt der Korbflechter immer gleich, nämlich mit einem Bodenkreuz. „Das ist die einfachste Form“, erklärt er. „Die richtige Feuchtigkeit und Biegsamkeit der Weiden, die Anzahl und Stärke der Hölzer und natürlich die korrekte Flechttechnik sind nur einige Faktoren, die einen guten Korb ausmachen.“ Ebenso entscheidend für einen Korb, von dem man ein Leben lang etwas hat, sei konzentriertes und ordentliches Arbeiten. Während er das erzählt, gleiten die Weidenzweige präzise und leicht durch seine Finger und ruckzuck ist ein halber Korb geflochten. Gehrlein lacht: „Das ist wohl in mir drin.“ Korbflechten im Akkord komme für ihn aber keinesfalls mehr in Frage. „Ich mache das aus Leidenschaft fürs Handwerk und denke, das spüren die Menschen auch.“ Es sei wunderbar zu sehen, dass die unterschiedlichsten Interessenten zu ihm kommen, um ein so altes Handwerk zu erlernen, das bereits vor Tausenden von Jahren praktiziert wurde. Für ihn gibt es nichts Schöneres.

UNTERSTÜTZEND Markus Heid beliefert die wenigen noch ausübenden Korbflechter mit seinen Pfälzer Weiden, damit das Handwerk erhalten werden kann. Nebenbei stellt er selbst Zäune oder Tipis aus Weiden her. Foto: Weiden Heid

Das Korbflechterdorf

Bis vor Kurzem hat Gehrlein die Weiden sogar noch selbst angebaut, gelagert und getrocknet. Doch da das sehr aufwändig ist, besonders die Pflege der Weiden, lässt er sie inzwischen liefern. Wieviel Mühe und Arbeit hinter dem Weidenanbau steckt, weiß Markus Heid nur zu gut. In Neupotz, ebenfalls in den Rheinauen gelegen, hat er sich eben genau darauf spezialisiert – den Anbau von Weiden. Selbst aus einer Korbflechterfamilie mit Tradition stammend, stellt Markus Heid zwar keine Körbe her, hat sich aber ebenso zur Aufgabe gemacht, das Korbflechterhandwerk zu erhalten, indem er die wenigen noch ausübenden Korbflechter mit seinen Weiden beliefert. Der 53-Jährige bewirtschaftet neun Hektar und bietet fünf Sorten Weiden von 60 bis 80 Zentimetern bis zu zwei Metern Länge an. Insgesamt in acht verschiedenen Größen, die sich nach Farbe und Stärke, also weich und hart, unterscheiden. Damit beliefert er Kunden deutschlandweit, die Flechtarbeiten aller Art ausführen. Unterstützt wird er von seinem Neffen, von dem er sich erhofft, die Familientradition einmal weiterzuführen. Begründet hat sie der Urgroßvater, der damals das Korbflechten gelernt und sich mit Weidenanbau selbstständig gemacht hat. Der wurde nach und nach ebenfalls zu einer wichtigen Einnahmequelle, weil viele Winzer das Naturmaterial nutzten, um ihre Reben anzubinden. Lange Zeit war es normal, dass in jeder Familie, die Landwirtschaft betrieb, auch Körbe geflochten wurden. In der Gemeinde Neupotz gab es eine Korbfabrik und mehrere Korbhändler. „Fast jeder im Ort hat hier Körbe gemacht, oftmals auch nebenberuflich“, erzählt Markus Heid und fügt mit einem Lachen im Gesicht hinzu: „Es steckt mir also im Blut.“

FRISCH Die Weiden werden im Winter geerntet. Markus Heid liefert 80 Prozent der Ernte direkt aus, der Rest wird in Neupotz gelagert. Foto: Weiden Heid

Ein Kulturerbe erhalten

Auch wenn Heid selbst kein Korbflechter ist, in der Branche ist er bekannt. Bis zu 80 Prozent seiner Weiden, die er jährlich in den Wintermonaten erntet, liefert er frisch aus. Den Rest trocknet und lagert er bei sich. „Die Lieferung des Materials ist mein Beitrag, um die Kunst und Kultur rund ums Korbflechten sowie den Beruf zu erhalten“, erklärt Heid. Nebenbei flicht der ausgebildete Umweltschutztechniker mit Schwerpunkt Landschaftspflege unter anderem Zäune. Auch Tipis für Kindergärten oder Bekannte hat er schon gemacht. Einer seiner persönlichen Höhepunkte zum Erhalt des Kulturerbes des Flechtwerks war ein Korbmacherfest, das auf seinem Hof ausgerichtet wurde. Da es sehr gut angenommen wurde, wird es sicher nicht das letzte gewesen sein. Seit 2019 veranstaltet Markus Heid zudem Flechtkurse auf seinem Gelände.

AUFWÄNDIG Die Weiden fürs Korbflechten wachsen in den Rheinauen bei Neupotz. Der Anbau und die Ernte sind durchaus anspruchsvoll. Foto: Weiden Heid

Faszination Glaskunst

Die Begeisterung für ein altes Handwerk, allerdings mit einem anderen Rohstoff, teilt Karin Histing. Sie hat sich der Glaskunst verschrieben. „Jahrhundertealte Techniken anzuwenden und mit Handwerk und Kreativität zu kombinieren, ist für mich ein absoluter Traumberuf“, schwärmt die 42-Jährige. Seit 2018 ist sie Inhaberin der Glaskunst Krumholz in Bad Bergzabern. „Die Farben und Lichtwirkung von Gläsern begeistern mich immer wieder aufs Neue.“ Bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. sollen die Römer Glasscheiben und Glasmosaike eingesetzt haben, um Helligkeit zu spenden und die Wärme in den Räumen zu erhalten. Die Glasmalerei findet sich seit jeher jedoch vorwiegend im sakralen Bereich. Auch Karin Histings Auftraggeber sind primär aus diesem Umfeld. Der Hauptteil ihrer Arbeit besteht aus der Sanierung und Restaurierung von Kirchenfenstern in teils jahrhundertealten Gemäuern. So hat sie unter anderem den Fenstern des Klosters Eberbach in Eltville schon zu neuem Glanz verholfen. Eine besondere Herausforderung bei ihrer Arbeit ist sicherlich, die Zerbrechlichkeit des Glases. „Mit der Zeit entwickelt man die Feinfühligkeit fürs Material und den achtsamen Umgang“, erklärt die Glaskünstlerin. Sie hat schon immer gerne mit den Händen gearbeitet und etwas Kreatives gemacht. Genau diese handwerkliche Fertigkeit braucht es bei der Glaskunst. Denn damals wie heute erfolgt wenig maschinell.

BEWAHREN Vor allem Kirchenfenster werden in der Bad Bergzaberner Werkstatt von Karin Histing saniert und restauriert. Foto: Norman Krauß

Die Vielfalt der Möglichkeiten

Karin Histing wendet unterschiedliche Techniken in ihrer Werkstatt in Bad Bergzabern an, die verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten mit sich bringen. Das gängigste Verfahren sind, unterschiedliche Buntgläser in Bleiprofile einzusetzen. „Zunächst fertige ich dafür eins zu eins Schablonen an, um dann die Buntgläser zurechtzuschneiden und schließlich Schritt für Schritt ein großes Fenster aus Glasstücken wie ein Puzzle zusammenzusetzen“, beschreibt Histing den Arbeitsprozess. Manch altes Fenster sei so zerstört, dass ein Rekonstruieren zur großen Herausforderung wird. Dann ist die Künstlerin froh, wenn alte Fotos vom Originalzustand existieren. Manchmal jedoch blieben nur Scherben, die es dann gilt, in Sisyphusarbeit wieder zusammenzusetzen. „Mir liegt es sehr am Herzen, das Fenster möglichst genau wieder in seiner Ursprungsform hinzubekommen.“

FRAGIL Die Zerbrechlichkeit des Materials ist immer eine Herausforderung. Foto: Norman Krauß

Von leuchtenden Farben

Eine weitere Technik, die es im Glaskunstbereich gibt, ist Sandstrahl. Hierbei lässt sich mit matten und klaren Flächen spielen, indem man zunächst mehrschichtig aufbaut, um dann einzelne Flächen oder Muster herauszustrahlen. Ferner eignet sich für größere Flächen ab und an die Anwendung von Silikon und Sicherheitsglas. Dass die ursprüngliche Glasmalerei, also richtiges Zeichnen und besonders detailliertes Arbeiten, eher selten vorkommt, bedauert Karin Histing. Aber der Aufwand und damit auch die Kosten für Arbeitsstunden seien eben sehr hoch, erklärt sie. Den einen oder anderen Auftrag von Privatkunden gibt es dann aber doch. Diese Arbeit erfüllt sie immer besonders. Nicht umsonst hat die Glasmalerei auch heute noch einen hohen Stellenwert in der Malerei. Denn keine andere Malart kann eine so solche Farbleuchtkraft und so große Helligkeitsunterschiede zeigen wie ein Glasbild. Karin Histing ist sich sicher, dass das Handwerk Glaskunst Bestand haben wird. Man müsse sicher vielseitig denken und sich hier und da umstellen, etwa neue Techniken lernen. „Einen Teil dazu beitragen zu können, etwas Altes und Schönes durch meine Arbeit zu erhalten, erfüllt mich in gewisser Weise mit Ehrfurcht“, sagt sie.

GESCHÄTZT In der Malerei hat die Glaskunst einen hohen Stellenwert. Foto: Norman Krauß

Traditionshandwerk Bürstenbinder

Bei Harald Klein geht es weniger um das Erhalten von antiken Gegenständen, sondern um das Schaffen von ganz alltäglichen, die man oft nicht wahrnimmt, die aber eigentlich jeder braucht: Er fertigt Besen und Bürsten. Von seinem Vater lernte er als Jugendlicher das Traditionshandwerk des Bürstenbinders und führt das kleine Unternehmen im südpfälzischen Ramberg nun in vierter Generation. „Ramberg war für viele Jahrhunderte das Dorf der Bürstenbinder“, erzählt der 63-Jährige. Doch die Zeiten haben sich geändert. Heute zählt Familie Klein zu den letzten Bürstenbindern. Auf über stolze 90 Jahre Firmengeschichte kann sie zurückblicken. „Für mich war es ganz normal, dass ich als kleiner Junge jeden Tag mit meinem Großvater ins Geschäft gegangen und so ins Bürstenbinden reingewachsen bin“, erinnert sich Harald Klein. „Hier und da habe ich mir immer mal 50 Pfenning verdient und konnte mir mit 14 Jahren von dem Ersparten ein Rennrad kaufen.“ Darauf sei er damals natürlich sehr stolz gewesen. Als er selbst den Betrieb übernommen hat, wuchs die Verantwortung und die neue Aufgabe  brachte auch viele Herausforderungen mit sich. „Ich habe hart und viel gearbeitet, um vom Handwerk leben zu können“, sagt der Bürstenbinder. Weil er seinen Beruf aber aus voller Überzeugung tut, ist es immer eine Erfüllung für ihn gewesen.

Zurück zur Qualität

HÄNDISCH Mitarbeiter Richard Rebholz zieht die Borsten von Hand ein, bevor sie auf eine Länge geschnitten werden. Foto: Norman Krauß

Ob Industriebesen, Zimmerbesen, Handbesen, Möbelbürsten, Staubwedel, Babyhaarbürsten oder Kuchenpinsel – rund 1000 verschiedene Artikel zählt das Sortiment der Firma Klein, die nach wie vor fast alle in Handarbeit produziert werden. Unterstützt wird Harald Klein von seinem Bruder und vier Aushilfen, die teils daheim arbeiten. „Das schätze ich sehr, weil es mir ermöglicht je nach Auftrag spontan zu reagieren“, erklärt Klein. Wenn erforderlich, schwingt er sich auf sein Fahrrad und bringt seinen Mitarbeitern die Materialien vorbei, um einige Stunden später die fertigen Produkte abzuholen. Auch früher schon war das im Bürstenbinderhandwerk eine gängige Methode. Um die Besen zu verkaufen, sind sein Großvater und Vater noch selbst direkt zur Kundschaft gefahren. Heute zählen eher größere Betriebe wie Baugeschäfte oder im Einzelhandel zu seinen Kunden.

Aber: Seit ein paar Jahren nimmt ebenfalls die Nachfrage bei Privatleuten ebenfalls zu. „Die Generation, die die alten Besen noch kennt, will sie wieder“, freut sich der Ramberger. Denn ein guter Besen kann bis zu 50 Jahre halten. Anders als Besen mit Kunstfasern, die sich im Gegensatz zu pflanzlichen oder tierischen Naturmaterialien beim Fegen statisch aufladen und schneller Borsten verlieren. Dafür sind diese industriell gefertigten Besen natürlich auch günstiger. Harald Klein vertritt schon immer den Standpunkt: Weniger ist mehr. Lieber einen gescheiten Besen, der zwar etwas mehr kostet, aber dafür Jahre hält, als ständig neue Besen kaufen. Das habe mit Nachhaltigkeit nichts zu tun, bedauert er. Die Entwicklung, dass mehr Privatleute sich wieder an handgefertigten Produkten und Qualität erfreuen würden, begrüßt Harald Klein daher sehr. Er geht auf Garten- oder Bauernmärkte, um seine Ware zu präsentieren. „Ich verkaufe auch einzelne Besen“, sagt er glücklich. Das sei ein schönes Gefühl, wenn jemand fröhlich anruft und sagt: „Ich habe noch nie so einen guten Besen gehabt.“

Traum einer gläsernen Manufaktur

Was lange währt Der Pfälzer produziert aber nicht nur neue Besen, sondern bestückt zum Beispiel auch alte Bürsten neu. Dabei handelt es sich teilweise um Erbstücke mit Initialen, die einen ganz besonderen Wert für ihre Besitzer haben. Besonders schön findet der Bürstenbinder die Vielzahl an Formen und Möglichkeiten, die sein Handwerk mit sich bringt. Jede Borste hat eine besondere Eigenschaft. Somit spielt es nicht nur eine Rolle, ob tierische Fasern wie Schweineborsten, Pferde- oder Rinderhaar, Naturmaterialien wie Kokos oder eben Kunststoff verwendet werden und in welchen Mischverhältnis. Sondern auch die Variation der Bündel – ob kräftig oder schwach, länger oder kürzer. Je nach Einsatz des fertigen Produkts entscheiden diese Faktoren, wie weich oder hart der Besen oder die Bürste sind und ob es letztendlich ein gutes, langlebiges Produkt wird. Der Stiel besteht fast immer aus Buchenholz. Das Stammholz für die Stiele wurde früher noch selbst in der Werkstatt aufgetrennt. Heute werden die Hölzer aus dem Naturpark Pfälzerwald gekauft. „Es hat sich vieles gewandelt“, erzählt Harald Klein. Nicht nur die Masse spielt heute eine deutlich größere Rolle, auch der Einsatz von möglichst günstigen Materialien. Der Bürstenbinder wünscht sich, dass in der Zukunft wieder nachhaltiger produziert und gewirtschaftet wird. Aber das sei gerade in großen Firmen bisher eben leider mit den Arbeitsstunden und dem Mindestlohn nicht vereinbar. Er selbst hofft, noch lange fit zu bleiben, um sein Traditionshandwerk per Hand ausüben zu können. Sein Traum ist, sein Wissen weiterzugeben und vielleicht mal eine kleine, gläserne Manufaktur zu besitzen, in der er den Menschen den Schatz seiner Handwerksarbeit zeigen kann.

Jonas Eder, Küfer, Bad Dürkheim, wilhelm-eder.de
Markus Heid, Weidenanbauer, Neupotz, weiden-heid.de
Karin Histing Glaskunst, Bad Bergzabern, glaskunst-krumholz.de
Harald Klein Bürstenbinder, Ramberg, www.klein-besen-buersten-shop.de

Wer mehr über alte Handwerke und Berufe erfahren möchte, kann über die
Museumsportalseite Rheinland-Pfalz diverse Museen ausfindig machen:
museumsportal-rlp.de

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Veranstaltungs­tipps

Tipps für Genuss-Events in der Pfalz: Das VielPfalz-Team recherchiert für Sie empfehlenswerte Veranstaltungen in der Pfalz, die vielfältigen Genuss versprechen – von der Weinprobe über die Städteführung bis zum Fest, Markt oder Konzert. Welches Event Sie auch immer anspricht, wir wünschen Ihnen viel Spaß dabei!

Pfälzer Perspektiven

Glücklich gemeinsam genießen

Betrachtungen von Janina Huber rund um die Sorge, wie sich gemeinsam glücklich genießen lässt und warum das in der Pfalz eigentlich ganz einfach ist.

Urbane WeintrinkerInnen (outdoor), Berlin 2022
Foto: Deutsches Weininstitut

Glück ist nur echt, wenn man es teilt“ oder im Original „Happiness only real when shared“. Kennen Sie dieses Zitat? Es sind die Worte von Christopher MacCandless. Als junger Mann zog er Anfang der 1990er-Jahre auf der Suche nach dem Glück allein durch Amerika. Seine Reise endete tragisch in der Wildnis Alaskas, wo er einsam starb – doch seine wichtigste Erkenntnis, dass Glück zum Teilen da ist, die hat er uns hinterlassen. Nachlesen kann man diese bewegende Geschichte im Buch „Into the Wild“, das auch verfilmt wurde.

Was ist Glück?

Aber wie komme ich nun auf diese Geschichte, wenn ich mir hier doch Gedanken über das Genussgefühl der Pfalz machen soll? Nun, eine abschließende Definition zu der Menschheitsfrage „Was ist Glück?“ traue ich mir nicht zu. Dass aber für mich als Pfälzerin Genuss immer ein Teil der Antwort ist, steht fest – vermutlich teilen viele von Ihnen diese Ansicht, schließlich halten Sie ein Genussmagazin in der Hand.

Teilen als Lebensgefühl

Ein Teil des Genussgefühls in der Pfalz liegt für mich in dem Zitat von oben verborgen: Wir genießen gerne gemeinsam – mal nur zu zweit, mal zwischen Hunderten Gleichgesinnten. Geselligkeit ist Teil der Pfalz-DNA! Das Teilen gehört hier ganz natürlich zum Lebensgefühl – schließlich hat ein Schoppenglas nicht umsonst 0,5 Liter. Und wer kennt nicht die Pfälzer Standardsituation: In der Wirtschaft oder auf dem Weinfest ist kein Tisch mehr frei. Doch statt entmutigt nach Hause zu gehen, rutschen alle ein bisschen zusammen und ganz plötzlich verbringt man mit wildfremden Leuten eine genussreiche Zeit. Es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, das sich wohlig in einem ausbreitet.

Anschluss garantiert

Ist dieses Empfinden nicht genau wie guter Wein, gutes Essen und eine malerische Natur Teil des Pfälzer Genussgefühls? Ist es vielleicht gerade die Geselligkeit, die in der Pfalz Genuss umso leichter macht? Ganz gleich, wo wir hingehen – wir finden immer Anschluss. Der September liegt hinter uns und als Dürkheimerin kann ich mir hier einen kleinen Rückblick aufs größte Weinfest der Welt nicht verkneifen, denn bei uns heißt es auch: Wurstmarkt, das heißt Freunde treffen, die man vorher noch nie gesehen hat! Ein schöner Gedanke, der auf viele Feste in unserer Region zutrifft.

Fazit

Also: Dass Genuss entsteht, wenn man ihn mit anderen teilt, ist in der Pfalz eine Selbstverständlichkeit. Und vermutlich bringt uns das auch wieder ein großes Stück näher in Richtung Glück!

Die Autorin

Janina Huber, 1989 in Bad Dürkheim geboren, hat Geschichte, Latein und Philosophie studiert. Ihre Leidenschaft für Wein machte die pfälzische Weinkönigin 2013/2014 und Deutsche Weinkönigin 2014/2015 längst zum Beruf. 2018 startete sie als selbstständige Weinfachfrau mit den Schwerpunkten Moderation und Kommunikation. Weinkurse und Workshops für Profis und Liebhaber bei der Weinschule „Grape skills“ in Heidelberg sind jetzt ihre Hauptbeschäftigung.

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